Zwei Dinge zeichnen den Menschen vor jeder anderen Spezies aus: die
Kraft und die Möglichkeiten, seine Umwelt zu manipulieren,
und the Fähigkeit, Wissen zu akkumulieren und über
Generationen hinweg weiterzugeben. Die erste dieser Gaben nennen
wir Technologie; the zweite nennen wir Kultur. Sie sind für
unser Menschsein von zentraler Bedeutung.
Gewachsen über
Tausende von Jahren, haben Kultur und Technologie uns Menschen in
ein abgetrenntes Reich geführt. Mehr als jedes Tier leben
wir umgeben von unseren eigenen Artefakten. Darunter gibt es
Arbeiten von vortrefflicher Schönheit, Komplexität und
Kraft, menschliche Kreationen, die zur Zelt unserer Vorfahren
nicht hätten existieren können – ja, nicht einmal
denkbar gewesen wären. Selten nur halten wir inne, um die
Kühnheit unserer Errungenschaften zu würdigen: Einfache
Objekte, wie etwa eine CD, ein Mobiltelefon oder ein Flugzeug,
wären noch vor wenigen Jahrhunderten als fantastisch
erschienen. Wir haben ein Reich der Magie und der Wunder
erschaffen.
Auf der anderen Seite jedoch ist es recht
leicht, Technologie und Kultur nicht als Geschenk zu sehen,
sondern als Fluch. Nach Jahrtausenden der Entwicklung ist die
Fähigkeit, die Umwelt zu gestalten, eine Kraft geworden,
welche die Umwelt zerstört, während die Fähigkeit,
Wissen weiterzugeben, auch dazu führt, dass Hass, Unrecht
und Gewalt an die Nachkommen weitergegeben werden. Heute, da
Zerstörung und Gewalt ein fiebriges Crescendo erreichen,
können nur noch wenige leugnen, dass sich die Welt in einem
Zustand der Krise befindet. Die Geister scheiden sich vielmehr
daran, wie genau diese beschaffen sei: Einige sagen, sie sei
vordringlich ökologisch, andere sprechen eher von einer
moralischen Krise, einer sozialen, ökonomischen, politischen
Krise, einer Gesundheitskrise und sogar einer spirituellen Krise.
Es herrscht allerdings Einigkeit darüber, dass es sich um
eine Krise menschlichen Ursprungs handelt. Die Folge ist
Verzweiflung: Bringt unser Menschsein die gegenwärtige
Zerstörung der Welt automatisch mit sich?
Sind
Genozid und Ökozid der unausweichliche Preis für die
Herrlichkeit von Zivilisation? Müssen die Errungenschaften
von Kunst, Literatur, Wissenschaft und Technologie auf den
Trümmern der Natur und dem Elend ihrer Bewohner fußen?
Können wir den Mikrochip ohne Ölteppiche, Tagebau und
Giftmülldeponien bekommen? Muss im Schatten jeder Kathedrale
eine Frau auf dem Scheiterhaufen brennen? Mit anderen Worten:
Kann das Geschenk der Technologie und der Kultur auf irgendeine
Weise vom Fluch getrennt werden?
Die zerschmetterten
utopischen Träume der letzten Jahrhunderte lassen wenig
Hoffnung. Trotz der Wunder, die wir erschaffen haben, teilen die
Menschen über das ideologische Spektrum hinweg – von
christlichen Fundamentalisten bis hin zu ökologischen
Aktivisten – die Vorahnung, dass sich die Welt in ernster,
wachsender Gefahr befindet. Kurzfristige, umgrenzte
Verbesserungen können diese offensichtliche Fehlentwicklung
nicht verbergen, welche die gesamte Gesellschaft wie auch unser
persönliches Leben selbst durchdringt. Auch wenn wir uns bei
jedem auftretenden Problem und vorhersehbaren Risiko zu helfen
wissen, so verbleibt doch eine grundlegende Unruhe. Ich beziehe
mich einfach auf dieses Gefühl: »Irgendetwas stimmt
hier nicht.« Irgendetwas ist so fundamental falsch, dass
Jahrhunderte unserer besten Absichten und klügsten
Bemühungen, eine bessere Welt zu schaffen, gescheitert sind
oder gar einen gegenteiligen Effekt hatten. Sobald diese Einsicht
bewusst wird, reagieren wir mit Verzweiflung, Zynismus,
Benommenheit und Distanzierung.
Doch wie vollständig
die Verzweiflung, wie bitter der Zynismus auch sein mag, es winkt
die Chance auf eine Welt, die schöner ist, und auf ein
Leben, das großartiger ist, als wir es heute kennen. Auch
wenn wir es rational fassen wollen, es ist nicht rational. Wir
werden uns dieser Erkenntnis in kurzen Momenten bewusst, in
Lücken, welche die Hast und der Druck des modernen Lebens
aufreißen. Diese Momente kommen zu uns, wenn wir allein in
der Natur sind, in Gegenwart eines Neugeborenen, während der
körperlichen Liebe, beim Spielen mit Kindern, bei der Pflege
eines sterbenden Menschen, beim Musizieren um der Musik willen
oder bei der Erschaffung des Schönen um des Schönen
willen. In solchen Augenblicken zeigt uns die simple und einfache
Freude die Sinnlosigkeit des überwältigenden,
lebensverzehrenden Programms von Lenkung und Kontrolle.
Wir
spüren intuitiv, dass etwas Ähnliches auch kollektiv
möglich ist. Einige haben es vielleicht schon erfahren bei
kooperativen Tätigkeiten, die natürlich und ohne
Anstrengung geschehen. Sie fungieren quasi als Instrument eines
höheren Zwecks, der größer ist als wir selbst und
der uns paradoxerweise individuell zu mehr macht und nicht zu
weniger, selbst wenn wir uns der Sache ganz und gar hingeben. Das
ist, was Musiker meinen, wenn sie sagen: »Die Musik spielte
die Band.«
Eine andere Form des Seins ist möglich,
und das direkt vor unseren Augen, näher als nah; so viel ist
offensichtlich sicher. Dennoch entschlüpft es auch wieder so
schnell, dass wir kaum glauben, es könnte die Grundlage für
das Leben bilden. Daher schreiben wir es einem Leben nach dem
Tode zu und nennen es Himmel oder wir schreiben es einer
ungewissen Zukunft zu und nennen es Utopia (wenn die
Nanotechnologie all unsere Probleme lösen wird ... wenn wir
alle lernen, freundlich zueinander zu sein ... wenn ich
irgendwann einmal nicht so viel um die Ohren habe ... ). Wie auch
immer, wir trennen es ab von dieser Welt und diesem Leben;
dadurch streiten wir im Hier und Jetzt ab, dass es praktikabel
und realisierbar ist. Doch das Wissen, dass das Leben mehr ist
als »nur das«, kann nicht unterdrückt werden,
jedenfalls nicht für immer.
Ob nun für mich oder
die Welt, ich teile mit Träumern, Utopisten und jungen
Leuten die ungebührliche Intuition, dass das Leben und die
Welt ein großartiges Potenzial besitzen, dass sie mehr sein
können als das, was wir daraus gemacht haben.
Welcher
Fehler also, welcher Wahn ließ uns das geringere Leben und
die geringere Welt, in der wir uns heute wiederfinden,
akzeptieren? Was hat uns so hilflos gemacht, dass wir der
Hässlichkeit, Verschmutzung, Ungerechtigkeit und dem
ausgesprochenen Grauen nicht entgegentreten, die in den
zurückliegenden Jahrhunderten aufgestiegen sind, unseren
Planeten zu zerstören? Welche Not hat uns dazu gebracht, uns
damit abzufinden und dies einfach der menschlichen Beschaffenheit
zuzuschreiben? Momente der Liebe, der Freiheit, der Heiterkeit,
des Spiels – welche Macht lässt uns glauben, sie seien
nur ein Aufschub vom wahren Leben?
Inspiriert durch solche
Momente, habe ich die letzten zehn Jahre versucht zu verstehen,
was uns und was mich von der besseren Welt zurückhält,
von der unsere Herzen sagen, dass sie existiert. Zu meinem großen
Erstaunen stieß ich dabei immer wieder auf eine gemeinsame
Wurzel, die den verschiedenen Krisen des modernen Zeitalters
zugrunde liegt. Hinter den enormen Trümmern, die unsere
Zivilisation herausgearbeitet hat, steckt nicht die menschliche
Natur, sondern ihr Gegenteil: die Verleugnung der menschlichen
Natur. Diese Verleugnung wiederum fußt auf einer Illusion,
auf einem Irrglauben, was das Selbst und die Welt betrifft. Wir
haben uns als etwas anderes definiert als das, was wir sind, und
zwar als eigenständige Subjekte, getrennt voneinander und
getrennt von der Welt, die uns umgibt. In gewisser Weise ist das
eine gute Neuigkeit: In diesem Buch werde ich den grundlegenden
Wandel beschreiben, der aus der zukünftigen Neukonzeption
des Selbst hervortreten wird – und teilweise schon
hervortritt. Die schlechte Neuigkeit ist, dass unsere
gegenwärtige Konzeption des Selbst so tief mit unserer
Zivilisation – unserer Technologie und Kultur –
verwoben ist, dass sie aufzugeben nur eins bedeuten kann: Vieles,
was uns vertraut ist, wird zusammenbrechen. Das ist, worauf das
gegenwärtige Zusammentreffen von Krisen hindeutet.
Alles,
was ich im letzten Absatz über die Zivilisation geschrieben
habe, ist auch auf jeden von uns individuell anwendbar. Heilige
und Mystiker haben seit Tausenden von Jahren uns zu lehren
versucht, in welcher Täuschung wir uns selbst verfangen
haben. Diese Täuschung bewirkt unausweichlich Leiden, und
schließlich eine Krise, die nur durch einen Zusammenbruch,
eine Preisgabe und eine Öffnung gegenüber einem
Seinszustand jenseits der bisherigen Selbstbeschränkung
aufgelöst werden kann. Du seist kein »von Fleisch
eingekapseltes Ego«, so sagen sie, und fortdauerndes Glück
könne niemals aus dem Streben unter einer solchen Maßgabe
resultieren. Diese spirituellen Lehren halfen mir, zumindest
teilweise, meine Intuitionen dafür zu entwickeln, was
Arbeit, Liebe, menschliche Beziehungen und Gesundheit sein
können. Zwar schenke ich diesen Aspekten im vorliegenden
Buch weder mein Hauptaugenmerk noch behaupte ich, sie
beispielhaft in meinem Leben umzusetzen, und dennoch: Die
Verlagerung unserer kollektiven Selbst-Konzeption steht in
inniger Beziehung zu der parallelen Verlagerung unserer
individuellen Selbst-Konzeption. Mit anderen Worten, es gibt eine
spirituelle Dimension der planetarischen Krise.
Sobald
diese planetarische Krise in unser individuelles Leben eindringt,
wird unvermeidlich weder die persönliche noch die kollektive
Fehlkonzeption darüber, wer wir sind, haltbar bleiben. Die
eine spiegelt die andere: in ihrem Ursprung, ihren Folgen und
ihrer Lösung. Aus diesem Grund verknüpfe ich in meinem
Buch die Geschichte über die Separation der Menschheit von
der Natur mit der Geschichte über die individuelle
Entfremdung vom Leben, von der Natur, vom Geist und vom
Selbst.
* * *
Trotz meines Vertrauens, dass das
Leben eigentlich gedacht ist, mehr zu sein, flüstern mir
leise Stimmen ins Ohr, ich sei verrückt. Nichts fehle, sagen
sie; so lägen die Dinge eben. Die anschwellende Flutwelle
menschlichen Elends und ökologischer Zerstörung –
so alt wie die Zivilisation selbst – sei schlicht und
einfach die menschliche Verfassung, ein unausweichliches Resultat
menschlicher Fehler wie .Selbstsucht und Faulheit. Da du es
sowieso nicht ändern kannst, sei dankbar für dein
Glück, dies alles zu vermeiden. Das Unglück weiter
Teile des Planeten sei eine Warnung, sagen die Stimmen, mich und
meine Angelegenheiten zu schützen und meine persönliche
Sicherheit zu maximieren.
Außerdem kann es nicht so
schlimm sein, wie ich denke. Wenn all das wahr wäre –
die ökologische Zerstörung, der Genozid, die hungernden
Kinder und die ganze Litanei über bevorstehende Krisen –,
wäre dann nicht alle Welt in Aufruhr darüber? Die
Normalität des Lebens um mich herum hier in den USA sagt
mir: »Es kann doch nicht so schlimm sein.« Diese
leise Stimme findet ihren Widerhall in der gesamten Kultur. Jeder
Werbeflyer, jeder Celebrity-Artikel, jeder Produktkatalog, jedes
hochgekochte Sportereignis transportiert den Unterton: »Du
kannst es dir leisten, das wichtig zunehmen.« Ein Mann in
einem brennenden Haus würde solche Dinge nicht wichtig
nehmen; dass unsere Kultur solche Dinge – und fast
ausschließlich solche – wichtig nimmt, zeugt doch
davon, dass unser Haus nicht niederbrennt. Die Wälder
sterben nicht. Die Wüsten breiten sich nicht aus. Die
Atmosphäre heizt sich nicht auf. Kinder hungern nicht.
Folterer laufen nicht frei herum. Ganze Volksstämme werden
nicht ausgerottet. Diese Verbrechen wider die Menschheit und die
Natur können wohl kaum tatsächlich geschehen.
Vielleicht wurden sie maßlos übertrieben? Wie auch
immer, sie geschehen irgendwo anders. Unsere Gesellschaft findet
eine Lösung, bevor dieses Unheil der Entwicklungsländer
mich betrifft. Siehst du, niemand anders ist in Sorge, oder? Das
Leben surrt weiter wie immer.
Was meine Intuition über
die großartigen Möglichkeiten für mein eigenes
Leben angeht, nun, meine Erwartungen sind wohl zu hoch. Werde
erwachsen, sagen die Stimmen, das Leben ist eben nicht mehr.
Welches Recht habe ich, die Großartigkeit zu erwarten,
deren Möglichkeit ich in bestimmten Momenten erahnen konnte?
Nein, es sind meine Intuitionen, denen nicht zu trauen ist. Die
Beispiele, was das Leben sei, umgeben mich doch und definieren
die Normalität. Sehe ich etwa Leute in meinem Umfeld, deren
Arbeit ihre Freude ist, die über ihre Zeit selbst verfügen
können und deren Liebe ihre Leidenschaft ist? Es kommt vor.
Sei dankbar, sagen die Stimmen, dass dein Job halbwegs
stimulierend ist, dass du dich wenigstens ab und an verliebt
fühlst, dass der Schmerz des Lebens handhabbar und die
Unsicherheit unter Kontrolle ist. Lass gut genug doch gut genug
sein! Sicherlich ist das Leben manchmal frustrierend, aber
immerhin kann ich es mir hin und wieder leisten, für ein
paar Augenblicke zu entrinnen. Im Leben geht es nun mal um
Arbeit, Selbstdisziplin und Verantwortung, aber wenn ich diese
Pflichten schnell und effizient erfülle, kann ich Urlaub,
Zerstreuung, Wochenende, ja vielleicht sogar eine Frühverrentung
genießen. Ist es angesichts dieser Stimmen ein Wunder, dass
ich über viele Jahre hinweg den Großteil meiner
Energie und Vitalität den kleinen Fluchten vom Leben
gewidmet habe? Ist es ein Wunder, dass so viele meiner Studenten
sich schon jetzt, im Alter von 21 Jahren, auf ihre Verrentung
freuen?
Wenn das Leben und die Welt eben »nur das«
sind, haben wir keine andere Wahl, als das Beste daraus zu
machen: effizienter zu sein, größere Absicherung zu
erzielen, die Unsicherheiten des Lebens unter Kontrolle zu
bekommen. Es gibt Stimmen, die auch hierzu sprechen. Sie singen
das Hohelied der Technologie und predigen Selbstverbesserung; sie
drängen uns dazu, die menschlichen Gegebenheiten dadurch zu
korrigieren, dass wir uns grundsätzlich mehr anstrengen.
Mein innerer Prediger sagt mir, ich solle mein Leben unter
Kontrolle bringen, täglich trainieren, meine Zeit
effizienter organisieren, auf meine Ernährung achten,
disziplinierter sein, mehr versuchen, ein guter Mensch zu sein.
Auf der kollektiven Ebene sagt die gleiche Einstellung, dass es
vielleicht schon der nächsten Generation materieller und
sozialer Technologien – neue Arzneien, bessere Gesetze,
schnellere Computer, Solarenergie, Nanotechnologie –
gelingen wird, unser Schicksal zu verbessern. Wir werden
effizienter, intelligenter, fähiger sein und letztendlich
das Leistungsvermögen haben, die ewigen Probleme der
Menschheit zu lösen.
Heute klingen diese Stimmen für
mehr und mehr Menschen hohl. Wörter wie »Hightech«
und »modern« haben ihr Ansehen verloren, da die Erde
von vielen Krisen geschüttelt wird. Wenn wir Glück
haben, können wir, zumindest für eine Zeit, verhindern,
dass diese Krisen in unser persönliches Leben eindringen.
Nun jedoch, da sich der Zustand der Umwelt weiter verschlimmert,
die Sicherheit unserer Arbeitsplätze nicht mehr
gewährleistet ist, sich die internationale Situation
verschlechtert, neue unheilbare Krankheiten auf der Bildfläche
erscheinen, die Geschwindigkeit von Veränderungen zunimmt,
erscheint es unmöglich, sich beruhigt zurückzulehnen.
Die Welt richtet sich immer stärker am Wettbewerb aus, wird
zunehmend gefährlicher und ermöglicht immer weniger ein
einfaches Leben, Sicherheit ist nur noch mit immer größerer
Anstrengung zu erlangen. Und selbst wenn vorübergehende
Sicherheit errungen wurde, lauert eine latente Angst innerhalb
der Festungsmauern – eine stumme Besorgnis im Hintergrund
des modernen Lebens. Sie durchzieht die moderne Gesellschaft und
intensiviert sich mit der Beschleunigung des technologischen
Fortschritts. Wir fangen an, die Hoffnung aufzugeben, da unsere
Lösungen – neue Technologien, neue Gesetze, mehr
Ausbildung, größere Anstrengungen – unsere
Probleme nur noch zu verstärken scheinen. Für viele
Aktivisten macht nun Hoffnungslosigkeit der Verzweiflung Platz,
da die Katastrophe trotz ihrer Bemühungen immer näher
rückt.
Dieses Buch beleuchtet, warum vermehrte
Anstrengung in die gleiche Richtung niemals funktionieren wird.
Unsere »besten Bemühungen« gründen im
selben Seinsmodus, der für die Krise überhaupt erst
verantwortlich ist. Wie Audre Lorde es ausdrückt: »Des
Meisters Werkzeug wird des Meisters Haus niemals demontieren.«
Bald allerdings wird dieser Seinsmodus zu einem Ende kommen und
ersetzt werden durch ein grundlegend verschiedenes Verständnis
vom Selbst und eine grundlegend verschiedene Beziehung zwischen
Mensch und Natur. Dieses Buch handelt von der sich sammelnden
Revolution des menschlichen Seins.
* * *
Was meinen
wir damit, wenn wir sagen, die planetarische Krise sei
menschlichen (und nicht natürlichen) Ursprungs? Menschen
sind doch schließlich Säugetiere, biologische
Kreaturen, nicht weniger natürlich als andere auch. In
gewissem Sinne kann es zwischen Mensch und Natur keine Trennung
geben, da Menschen Teil der Natur sind. Damit sind auch all
unsere Handlungen »natürlich«. Trotzdem
unterscheiden wir. Wir erkennen in der Natur eine Harmonie,
Ausgewogenheit, Authentizität und Schönheit, die der
Welt der Technologie fehlt – man denke nur an die
Konnotationen des Wortes »künstlich«. Ob nun
tatsächlich oder nur wahrgenommen, wir moderne Menschen
leben auf eine Art, die nicht mehr natürlich ist.
Die
Krux an der Mensch-Natur-Unterscheidung ist die Technologie, das
Produkt von Menschenhand. Zwar stellen auch andere Tiere
Werkzeuge her und gebrauchen diese, aber keine andere Spezies
teilt mit uns die Fähigkeit, die physikalische Umwelt neu zu
gestalten oder zu zerstören, die Prozesse der Natur zu
kontrollieren oder die Grenzen der Natur zu überschreiten.
Im Bereich des Mentalen und Spirituellen entspricht der
Technologie die Kultur, welche die menschliche Natur auf die
gleiche Weise modifiziert oder gar ersetzt, wie die Technologie
die physikalische Natur modifiziert. Indem wir die Natur durch
Technologie beherrschen und die menschliche Natur gleichermaßen
durch Kultur bezähmen, heben wir uns vom Rest des Lebens ab
und erschaffen einen separaten menschlichen Bereich. Im Glauben,
dies sei eine gute Sache, halten wir diese Separation für
einen Aufstieg, durch den wir uns über unsere tierischen
Ursprünge erheben. Daher kommt unser Lieblingsbegriff für
die jahrtausendewährende Anhäufung von Kultur und
Technologie: »Fortschritt«
Es ist also
Separation in Form von Technologie und Kultur, die uns als
Menschen definiert; genauso ist es Separation, welche die
zusammentreffenden Krisen der heutigen Welt hervorgebracht hat.
Menschen mit einer religiösen Überzeugung mögen
die fundamentale Krise vielleicht einer Trennung von Gott
zuschreiben; Menschen mit einer ökologischen Überzeugung
sehen darin eine Separation von der Natur; Menschen, die sich
sozial engagieren, mögen den Schwerpunkt auf die Auflösung
von Gemeinschaft (also eine Separation von anderen) legen; wir
können ebenfalls die psychologische Dimension der Separation
von verlorenen Teilen unseres Selbst ergründen. Im Guten
oder im Schlechten, es ist die Separation, die uns zu dem gemacht
hat, was wir sind.
Über lange und gewundene Pfade
haben diese Formen der Separation die Welt hervorgebracht, wie
wir sie heute kennen. Unsere Intuition, das Leben und die Welt
seien zu mehr bestimmt, spiegeln das äußerst
Illusorische jener Separation wider. Doch es ist eine sehr
mächtige Illusion, erzeugt von den zusammentreffenden
Krisen, deren Zeugen wir heute in Politik, Umwelt, Medizin,
Bildung, Wirtschaft, Religion und vielen anderen Bereichen sind.
In diesem Buch werde ich die Wege in diese Krisen nachzeichnen.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie derselbe fundamentale
Irrglaube über das Selbst Phänomenen zugrunde liegt,
die so unverbunden erscheinen wie der Krieg im Irak,
Urheberrechte, Antibiotikaresistenzen, saurer Regen, ethnische
Säuberungen, Werbeflut, Zersiedlung städtischen Umlands
und die sinkende Alphabetisierung in den Vereinigten Staaten.
(Nein, ich werde es nicht alles auf den »Kapitalismus«
schieben, denn unser wirtschaftliches System ist ebenfalls mehr
Symptom als Ursache der Separation.)
Die Wurzel und der
Inbegriff der Separation ist das abgetrennte, isolierte Selbst in
der modernen Wahrnehmung: das descartsche »Ich bin«,
der »Homo oeconomicus« eines Adam Smith, der
individuelle Phänotyp des darwinschen Überlebenskampfs,
das durch Haut eingehüllte Ego nach Alan Watts. Es handelt
sich um ein Selbst, das bedingt abhängig, aber fundamental
abgetrennt ist vom anderen: von der Natur und von anderen
Menschen. Indem wir uns selbst als eigenständige Wesen
sehen, versuchen wir natürlicherweise, das Nicht-Selbst zu
unserem besten Vorteil zu manipulieren. Technologie stützt
sich besonders auf eine Art Individuation oder konzeptuelle
Separation von der Umwelt, da sie die physikalische Welt als
Objekt ihrer Manipulation und Kontrolle verwendet. Technologie
sagt letztendlich: »Lasst uns die Welt besser
machen!«
Wenn, wie ich oben schrieb, unsere
Selbst-Konzeption als eigenständige, isolierte Wesen eine
Illusion ist, dann fußt der gesamte Aufstieg der Menschheit
– der Spezies der Kultur und Technologie – ebenfalls
auf einer Illusion. Deshalb sind die Implikationen des
gegenwärtigen Wiederverstehens unseres Selbst so grundlegend
und versprechen nichts weniger als eine radikale Neudefinition
dessen, was das Menschliche bedeutet, wie wir uns aufeinander
beziehen und wie wir uns auf die Welt beziehen.
Technologie
ist nicht nur auf einer konzeptuellen Separation von der Natur
gegründet, sondern sie verstärkt diese Separation
sogar. Technologie distanziert uns von der Natur und isoliert uns
von ihren Rhythmen. Beispielsweise wird das Leben der meisten
US-Amerikaner kaum noch von den Jahreszeiten beeinflusst. Wir
essen das ganze Jahr die gleiche, aus Kalifornien und der ganzen
Welt angelieferte Nahrung; Klimaanlagen geben uns Kühlung im
Sommer, Heizungen wärmen uns im Winter. Natürliche
körperliche Grenzen in Form von Muskeln und Knochen
begrenzen nicht länger, wie weit wir uns bewegen, wie hoch
wir bauen oder wie groß die Entfernung ist, über die
wir miteinander kommunizieren können. Jeder Fortschritt in
der Technologie distanziert uns von der Natur, in der Tat, auf
der anderen Seite befreit er uns von natürlichen
Begrenzungen – daher der »Aufstieg«. Aber wie
kommt es, dass all diese Verbesserungen die Welt ergeben, in der
wir uns heute befinden?
Wir sehen uns mit einem Paradoxon
konfrontiert. Auf der einen Seite sind Technologie und Kultur
grundlegend für die Separation der Menschen von der Natur.
Diese Trennung ist die Wurzel der Krisen, die in unserem
gegenwärtigen Zeitalter zusammentreffen. Auf der anderen
Seite versuchen Technologie und Kultur explizit, die Natur zu
verbessern und das Leben einfacher, sicherer und komfortabler zu
machen. Wer könnte leugnen, dass der erste Grabstock eine
Verbesserung gegenüber der Verwendung von Händen und
Fingernägeln darstellte, dass Feuer uns warm und Medizin uns
gesünder erhält als im primitiven Daseinszustand in der
Natur? Oder zumindest ist es das, worauf Technologie abzielt.
Doch haben wir die Welt tatsächlich besser gemacht? Wenn
nicht, warum hat dann die Technologie ihr angestrebtes Ziel nicht
erreicht? Noch einmal: Wie kann eine Serie schrittweiser
Verbesserungen eine Krise ergeben?
Kapitel
I widmet sich diesen Fragen, indem es einen
fundamentaIen Fehler in der Anlage unserer Grundvoraussetzungen
der Technologie und darüber hinaus in der Verallgemeinerung
der Technologie zum »Programm der Kontrolle«
beschreibt. Wenn wir dieses durch die Linse der Sucht betrachten,
werden wir sehen, dass die oben erwähnte Verzweiflung
gerechtfertigt ist, dass unsere gesamte Herangehensweise bei der
Problemlösung nicht hilfreich ist, dass wir nichts
unternehmen können, ohne die herannahenden Krisen noch zu
verschlimmern. Es ist wie bei einem im Treibsand steckenden Tier:
Je härter wir kämpfen, desto schneller sinken
wir.
Kapitel II
beschreibt, wie wir überhaupt erst in diesen Sumpf geraten
sind. Es benennt nicht nur die üblichen Schuldigen Industrie
und Landwirtschaft, sondern geht sehr viel weiter, um die
Ursprünge der Separation von allem, was uns menschlich
macht, zu identifizieren: Sprache, Kunst, Messung, Religion und
Technologie, selbst Steinzeittechnologie. All diese bauen
aufeinander auf und treffen in einer Flutwelle der Entfremdung
und des Elends zusammen, die unsere Erde heute verschlingt. Indem
wir jedoch die Separation, die für die gegenwärtige
Misere verantwortlich ist, bis hin zu prähistorischen oder
gar vormenschlichen Zeiten zurückverfolgen, beginnen wir,
die Separation nicht als »ungeheuer falsche Wendung«
(um John Zerzans Worte zu gebrauchen) zu sehen, sondern als
organische Unvermeidlichkeit, die vielleicht zu einer neuen Phase
menschlicher und natürlicher Entwicklung führt.
Mit
der wissenschaftlichen Revolution, der Aufklärung, mit
Galileo, Newton, Bacon und Descartes, erhielt die Ideologie der
Separation ihren vollen Ausdruck. Wir nennen ihn »Wissenschaft«.
Kapitel III beschreibt, wie
die konzeptuelle Unterscheidung zwischen Selbst und Welt in unser
innerstes Vokabular des Denkens eingebaut ist. Die Methoden und
Techniken der modernen Wissenschaft, zusammen mit der ganzen Art
des Denkens, die wir rational, objektiv oder wissenschaftlich
nennen, verstärken das System der Separation, selbst wenn
wir versuchen, es abzumildern. Des Meisters Werkzeug wird des
Meisters Haus niemals demontieren. Ein Beispiel gibt der Drang,
die »Umwelt zu retten« oder »natürliche
Ressourcen zu schonen«: Diese Redewendungen verstärken
das Bild einer externen Umwelt, die grundlegend von uns
abgesondert ist und von der wir nur bedingt abhängen. Dies
findet seinen Widerhall in der klassischen wissenschaftlichen
Kosmologie, die – wenn auch überholt – die Basis
für unsere Alltagsintuitionen bildet: Wir sind isolierte,
gesonderte Wesen, die nach außen auf ein objektives
Universum von unpersönlichen Kräften und generischen
Massen schauen.
Währenddessen zeigt auch die Religion
Mittäterschaft, wenn es darum geht, die Welt zu
despiritualisieren – was wir eigentlich eher mit der
Wissenschaft verbinden. Durch den Rückzug in einen zunehmend
schrumpfenden, nicht materiellen Bereich der Seele oder durch die
schamlose Leugnung elementarer, wissenschaftlicher Beobachtungen
hat die Religion der Wissenschaft Newtons und Descartes‘ im
Endeffekt die materielle Welt abgetreten. Mit einer von Materie
abgetrennten Seele und einem von der Schöpfung abgetrennten
Gott sind wir machtlos und alleingelassen in Fritjof Capras
»Newtonscher Weltmaschine«.
Nachdem Sprache
und wissenschaftliche Methodik die Welt benannt und vermessen
haben und die Wissenschaft sie zum Objekt gemacht hat, ist der
nächste Schritt, sie in eine Ware umzuwandeln.
Kapitel
IV beschreibt die enormen Konsequenzen, die aus der
Umwandlung des Gemeinwohls – soziales, kulturelles,
seelisches und natürliches – in Geld resultieren.
Phänomene so verschieden wie die Auflösung der
Gemeinschaftlichkeit, die Schwächung von Freundschaft, das
Anwachsen geistigen Eigentums, die Verkürzung von
Aufmerksamkeitsspannen, die Professionalisierung von Musik und
Kunst und die Zerstörung der Umwelt haben eine gemeinsame
Wurzel in unserem System aus Geld und Eigentum, das wiederum aus
unserer Selbst-Konzeption als eigenständige Wesen in einem
objektiven Universum des anderen entsteht (das gleichzeitig diese
Selbst-Konzeption noch verstärkt). Einfach zu versuchen,
nicht mehr so gierig zu sein, wird niemals reichen, denn Egoismus
wurzelt unglaublich tief. Dieser Egoismus ist allerdings nicht
mit der »menschlichen Natur« gleichzusetzen, sondern
vielmehr mit verleugneter menschlicher Natur, verdreht durch
unsere Irrmeinung darüber, wer wir sind.
Die Folgen
unseres grundlegenden Missverständnisses über das
Selbst und die Welt, wie sie in Kapitel I angesprochen sind,
werden in vollem Umfang in
Kapitel V
dargestellt. Unser Widerstand gegenüber der Natur und der
menschlichen Natur – einschließlich der
technologischen Mission, sie zu verbessern – kann nur eine
»Welt unter Kontrolle« zur Folge haben. Sie
manifestiert sich in jedem Bereich, von der Religion über
die Gesetzgebung bis hin zu Bildung und Medizin, und wir zahlen
einen ständig steigenden Preis, um sie aufrechtzuerhalten.
Hilflos reagieren wir auf jeden Misserfolg bei der Kontrolle mit
noch mehr Kontrolle, womit wir den Tag der Abrechnung aufschieben
und dessen Auswirkungen schlussendlich intensivieren. Sobald das
in Kapitel IV beschriebene soziale, kulturelle und spirituelle
Kapital erschöpft ist, sobald sich unsere Technologie als
hilflos erweist, die bevorstehenden Krisen abzuwenden, wird sich
immer mehr der Kollaps der »Welt unter Kontrolle«
abzeichnen. Es ist dieser Kollaps, auf den die gegenwärtig
zusammenlaufenden Krisen hindeuten. Er macht die Bühne frei
für das in Kapitel VII beschriebene Zeitalter der
Wiedervereinigung.
Während die klassische
Wissenschaft die Illusion der Separation als Tatsache
präsentiert, haben wissenschaftliche Entwicklungen des
letzten Jahrhunderts das newtonsche Weltbild für überholt
erklärt.
Kapitel VI
beschreibt, wie der Zerfall des objektiven, reduktionistischen,
deterministischen Weltbilds neue Türen öffnet –
nicht nur zu einer neuen Art von Technologie, sondern auch zu
einer Spiritualität, die Heiligkeit, Bestimmung und
Bedeutung als grundlegende Eigenschaften von Materie ansieht. Ein
Teil unserer Separation bestand darin, Seele als etwas von
Materie Getrenntes zu sehen, entweder von Gott, das heißt
von außen auferlegt, oder als bloße Erfindung unserer
Einbildung. Gewissenhaft New-Age-Klischees über
Quantenmechanik vermeidend, bezieht sich Kapitel VI auf neuere
Entwicklungen der Physik, aber auch der Evolutionsbiologie, der
Ökologie, der Mathematik und der Genetik. Hier wird das
wissenschaftliche Fundament gelegt, um Materie und Seele wieder
zu vereinigen, wie auch Mensch und Natur, Selbst und Anderes,
Arbeit und Spiel und all die anderen Dualismen aus dem Zeitalter
der Separation.
Wir sind derzeit Zeugen, wie die
Separation bis an die Grenzen der Belastbarkeit intensiviert wird
– das oben erwähnte Zusammentreffen der verschiedenen
Krisen bringt eine neue Ära hervor. Ich nenne es das
Zeitalter der Wiedervereinigung.
Kapitel
VII zeichnet ein Bild davon, wie das Leben aussehen
könnte, wenn es nicht länger auf die Illusion eines
eigenständigen Selbst gegründet ist. In Bezug auf die
neuen wissenschaftlichen Paradigmen aus Kapitel VI beschreibt es
ein System von Geld, Wirtschaft, Medizin, Bildung, Wissenschaft
und Technologie, das nicht mehr die vollständige Kontrolle
über die Natur anstrebt, sondern uns als harmonischen Teil
der Natur ansieht. Damit ist keine Rückkehr zur
Vergangenheit gemeint, auch nicht, dass wir uns all der Gaben
entledigen sollen, die uns – wie der Gebrauch der Hand und
des Verstands – erst zu Menschen machen. Das Zeitalter der
Wiedervereinigung steht vielmehr für ein neues menschliches
Gut, für die Rückkehr zur Harmonie und Ganzheit der
Jäger und Sammler, allerdings auf einem höheren Niveau
von Organisation und Bewusstsein. Es kehrt den gesamten Gang der
Separation nicht um, sondern integriert ihn. So kann die
Separation als ein Abenteuer der Selbst-Entdeckung und nicht als
ein furchtbarer Missgriff gesehen werden.
Obwohl ich die
allgemein wachsende Befürchtung bestätige, dass der
Zusammenbruch unserer Zivilisation bevorsteht, sind das enorme
Elend und die Zerstörung, die wir hervorgebracht haben,
trotzdem nicht umsonst gewesen. Schauen Sie sich die New Yorker
Skyline oder eine Vergrößerung eines integrierten
Schaltkreises an: Kann das alles umsonst gewesen sein? Können
die unglaubliche Komplexität, die grimmige Aktivität
und die enormen Kenntnisse der Wissenschaft, die unsere
Zivilisation auszeichnen, ein bloßes – um Shakespeare
zu zitieren – »Geräusch und eine Raserei, das
nichts bedeutet« sein? Meiner gegenteiligen Intuition
folgend, beschreibe ich in
Kapitel VIII,
was ich für den kosmischen Sinn unseres »Aufstiegs«
in die äußersten Bereiche der Separation halte. Ich
beziehe mich auf religiöse, mythologische und kosmologische
Metaphern und setze in Kapitel VIII die Gezeiten von Separation
und Wiedervereinigung in einen breiten Kontext. Darin ist keine
unserer Bemühungen, eine Welt der Ganzheit und Schönheit
zu erschaffen, so verloren, wie es jetzt scheinen mag, weder
vergeblich, töricht noch unbedeutend.
Selbst in den
dunkelsten Tagen empfindet jeder eine höhere Möglichkeit,
eine Welt, so wie sie gemeint war, ein Leben, wie es gedacht war,
gelebt zu werden. Flüchtige Blicke auf diese »Welt der
Ganzheit und Schönheit« haben Idealisten viele Tausend
Jahre lang inspiriert; sie hallen in unserer kollektiven Psyche
wider als Ahnung vom Himmel, als Zeitalter des Wassermanns oder
als Paradies: ein einstiges und zukünftiges Goldenes
Zeitalter. Wie Mystiker es seit alter Zeit gelehrt haben, ist
eine solche Welt näher als nah, »in uns und unter
uns«; und gleichzeitig ist sie auch unerreichbar weit
entfernt für jede Bemühung, die aus unserer
gegenwärtigen Selbst-Konzeption entspringt. Um diese Welt zu
erreichen, müssen unsere gegenwärtige Selbst-Konzeption
und die Beziehung zur Welt, die sie impliziert, kollabieren,
sodass wir unser wahres Selbst entdecken können – und
damit unsere wahre Rolle innerhalb des Universums und unsere
wahre Beziehung zum Universum.
Dieses Buch offenbart, wie
vergeblich, betrügerisch und haltlos das Programm zur
Kontrolle der Welt ist. Es kann sie weder benennen noch in Zahlen
fassen, weder kategorisieren noch besitzen, es kann weder über
die Natur noch über die menschliche Natur hinausgehen. Auf
diese Weise entblößt, wird das Programm seinen Zugriff
auf uns lösen, sodass wir es loslassen können, bevor es
die allerletzten Überreste des Lebens und die Schönheit
auf Erden vernichtet hat. Die umfangreichen wissenschaftlichen
Kapitel sollen Sie überzeugen, dass die mechanistische,
objektive Welt des eigenständigen Selbst keine Realität
ist, sondern lediglich eine Projektion, ein bloßes Bild
unserer eigenen Verwirrung.
* * *
Die
Renaissance der Menschheit ist nicht nur eine weitere Kritik
an der modernen Gesellschaft, und meine möglichen Lösungen
sind auch nicht im Sinne eines »wir sollten dies tun«
und eines »wir sollten dies unterlassen« gedacht. Wer
zum Henker ist überhaupt »wir«? Sie und ich sind
nur Sie und ich. Deshalb ist so vieles im politischen Diskurs
(über das, was »wir« tun müssen) so
entmutigend; deshalb verspüren so viele Aktivisten eine
solche Verzweiflung und Verzagtheit. Sie und ich, so sehr wir
auch die gleiche Meinung vertreten, sind nicht das »Wir«
der kollektiven Tat, wie in »wir müssen mit mehr
Nachhaltigkeit leben« oder »wir müssen
diplomatisch vorgehen«. Ich finde bei vielen Leuten
Zuspruch für meine Intuition, was mit dem Leben und der
Welt, wie wir sie kennen, falsch läuft, doch ist ihre
Antwort keine mutmachende Empörung. Aus ihnen sprechen
Verzweiflung, Hilflosigkeit und ein Gefühl der Ohnmacht. Was
kann einer allein ausrichten? Tatsächlich sind auch diese
Gefühle Symptome derselben Separation, die hinter all
unseren Krisen steht. Wenn ich ein eigenständiges Individuum
bin, dann macht alles, was ich tue, kaum einen Unterschied. Doch
diese Logik gründet sich auf eine Illusion. Wir – Sie
und ich – sind tatsächlich machtvoll jenseits der
Vorstellungskraft.
Da die Illusion der Separation
bröckelt, ist die Alternative, die ich anbiete, praktisch,
natürlich und in der Tat unvermeidlich. Der Ruin und die
Gewalt des gegenwärtigen Zeitalters sind keine Sinnbilder
eines unabänderlichen »menschlichen Zustands«.
Sie resultieren aus einer Verwirrung über das Selbst und die
Welt, einer Verwirrung, die in unseren grundlegenden
wissenschaftlichen und religiösen Prinzipien verkörpert
ist und die in jedem Aspekt des modernen Lebens Anwendung findet,
von der Politik über die Wirtschaft und die Medizin bis zur
Bildung. Soziale Zerstörung und Umweltzerstörung sind
eine unvermeidliche Konsequenz dieser Weltsicht, so wie
Verjüngung und Ganzheit die Folge einer anderen Weltsicht
waren und sein werden, einer Weltsicht, die ihre Wurzeln in
primitiven Kulturen und Religionen hat und die dennoch die
unausweichliche und bis jetzt im Allgemeinen unerkannte Folge der
Wissenschaft des 20. Jahrhunderts ist.
Unsere
augenblickliche Selbst-Welt-Unterscheidung – und ihre
konsequente Zergliederung der gesamten Welt in eigenständige
Einheiten – hat ihre Brauchbarkeit als dominantes Paradigma
eingebüßt. Unsere Individuation – als Individuen
und als eine von der Natur abgetrennte Spezies – ist
abgeschlossen; tatsächlich ist sie mehr als abgeschlossen.
Was mit der Landwirtschaft und schon zuvor mit dem Herantasten
des Frühmenschen an die Technologie von Stein und Feuer
begann, hat seine äußerste Grenze erreicht. Sie hat
uns weit getragen, diese Separation; sie hat die Erschaffung von
Wundern entfacht. In dem Umfang, in dem die Separation eine
Illusion ist und wir auch Teil der Natur sind, hat die Illusion
wiederum eine neue Gewalt der Natur entfesselt, die den Planeten
transformiert. Doch wenn unsere menschlichen Attribute, der
Gebrauch von Hand und Verstand, ebenfalls natürlich sind,
was ist dann mit »Harmonie, Schönheit und
Authentizität« geschehen, deren Fehlen in der Welt der
Technologie jeder spüren kann? Können wir jemals jenen
menschlichen Zustand erreichen, dessen Möglichkeit wir in
Momenten seelischer Verbindung spüren? Dieses Buch wird die
Extreme der Separation ergründen, die wir erreicht haben,
wie auch die mögliche Wiedervereinigung, die in der
Erfüllung und nicht in der Preisgabe der Talente liegt, die
uns zu Menschen machen.