Der Aufstieg der Menschheit von Charles Eisenstein

Über die große Krise unserer Zivilisation und die Geburt eines neuen Zeitalters

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Inhaltsverzeichnis:


Zeit, Geld und Gut

Soziales, kulturelles, natürliches und spirituelles Kapital sind eng miteinander verwoben. Wenn wir kulturelles Kapital, wie etwa Lieder und Bilder, privatisieren, zerstören wir auch soziales Kapital der menschlichen Beziehungen, die sie erschaffen und wir tragen das spirituelle Kapital individueller Schaffenskraft ab. Da Musik und Bilder ihren Ursprung haben in den Klängen der Natur, Schwingungsverhältnissen und elektromagnetischen Spektren, können sie darüber hinaus auch als Naturkapital angesehen werden.

Diesen vier Formen des nicht geldwerten Kapitals könnten noch einige andere hinzu gefügt werden. Ästhetisches Kapital, zum Beispiel, würde aus nicht verschandelten Aussichten, natürlichen Landschaften und ungebrochener Ruhe bestehen, die allesamt fast aus dem gesamten Land verschwunden sind. Wir ordnen solchem Vergnügen, wie einem Himmel voller Sterne, nur selten einen finanziellen Wert bei, oder sehen es als Raub an, wenn die Lichter der Zivilisation alle bis auf die dreißig oder vierzig hellsten Sterne auslöschen. Fluggesellschaften verstehen nicht, was sie der Öffentlichkeit entreißen, wenn ihre Kondensstreifen jeden Himmel auf dieser Welt verunstalten. Energieversorger können nicht abschätzen, was für eine Tragödie ihre Starkstromleitungen in nahezu jedem Panorama anrichten. Die meisten Kinder heutzutage haben niemals die Ruhe der Natur erfahren. Das Piepen der Baufahrzeuge beim Zurücksetzen und das Summen der Motoren sind in jedem Park oder Wald zu hören, der in meiner vorstädtischen Gegend noch steht.

Nimm jetzt noch die allgemeine Verschandelung der Landschaft, welche mit Autobahnen, Fabriken, riesigen Shoppingcentern und Gewerbegebieten einhergeht, und wir haben eine Form von Wohlstand verloren, die so grundlegend ist, dass wir kaum je ihr Fehlen bemerken: die Augen zu öffnen und Schönheit zu erblicken. Es ist zunehmend immer weniger möglich, dem getrennten Bereich der Menschen, den wir erschaffen haben, zu entgehen.

Obwohl es die Umwandlung der Schönheit zu Hässlichkeit antreibt, benötigen wir paradoxerweise zunehmend mehr Geld, um Schönheit zu kaufen: ein Eckchen der Welt, das abgeschirmt ist vor der Hässlichkeit da draußen. Häuser mit einer schönen Aussicht erbringen einen höheren Preis auf dem Immobilienmarkt. Wir zahlen gutes Geld für Urlaubsfluchten an entwinkelte Orte. Einzigartige, handgemachte Dinge sind teurer, als einförmige, massenproduzierte. Ästhetischer Wohlstand, einst allen verfügbar, ist zunehmend eine exklusive Domäne der Reichen. Die Straße runter zermalmen Bulldozer Gebüsche und Bäume, um ein weiteres Supercenter zu errichten. Über dem Hügel summt eine neue Superautobahn. Teer, Plätze und Krach weiten sich um mich herum aus. Vielleicht, wenn ich einmal reich bin, kann ich ein Haus auf dem Lande, weit weg von all dem kaufen.

Eine Form von Wohlstand, die damit in Verbindung steht, ist die geistige Ruhe, dessen zu einer Ware umgewandelte Form Mindspace genannt wird. Unsere Aufmerksamkeit steht zum Verkauf für Werber und jeden anderen, der ein Produkt oder eine Idee zu verkaufen hat. Das Ergebnis ist ein Verschmutzung der mentalen Umwelt mit einem nie endenden Strom kommerzieller Botschaften: auf Plakaten, auf Bussen, auf Quittungen, vor Kinofilmen, auf Sportveranstaltungen. Aus meiner Kindheit kann ich mich nicht daran erinnern, Werbelogos im Stadion oder auf dem Programm unseres örtlichen Kunstfestes gesehen zu haben. Jeder Fleck leeren Raums und jede Sekunde unserer leeren Zeit ist reif für die Umwandlung zu Geld. Ich habe mal gelesen, dass Werber Sendeminuten für einen speziellen Radiosender kaufen können, der Werbung im Lincoln Tunnel auf allen Kanälen ausstrahlt, weil alle anderen Sender während der siebenminütigen Durchfahrt nicht erreichbar sind. Heute redet man sogar über neue Klangtechnologien, die Fußgängern spezifische Botschaften liefern, während sie verschiedene Geschäfte passieren.

Eine weitere Variante sozialen Kapital könnte man „Bürgerschaftskapital“ nennen. Das ist die allgemeine, kulturell überlieferte Teilhabe an Politik und Regierung, was sowohl das Vertrauen als auch die politischen Fähigkeiten umfasst, effektiv an der demokratischen Gesellschaft teilzuhaben. In seinem Buch „Bowling alone“ zeichnet der Politikwissenschaftler Robert Putnam einen Generationen langen Niedergang bürgerlicher Teilhabe nach, der die demokratische Bürgerschaft auf ein bloßes Wahlzettel ausfüllen reduziert – noch mehr „bedeutungslose Wahlmöglichkeiten in einer Kiste“. Nur wenige Leute partizipieren heutzutage noch in der Lokalpolitik, da Gemeinschaftsnetzwerke, die einst politische Kraft hatten, sich zusammen mit anderen Dimensionen von Gemeinschaft in Luft auflösen. Zunehmend (obwohl es seit kürzerem Anzeichen für eine Trendumkehr gibt) sind wir damit zufrieden, zwischen Optionen zu wählen, die uns von hoch oben präsentiert werden.

Und schließlich verlieren wir auch, was wir physiologisches oder Gesundheitskapital nennen können: die biologischen Ressourcen und Fähigkeiten des menschlichen Körpers. Es ist offensichtlich, dass viele unserer menschlichen Kapazitäten verkümmert sind und durch Technologie unterstützt werden. Zum Beispiel ist es nicht nur so, dass die meisten Menschen nicht wissen, wie man sich Nahrung und Behausung in der Natur beschafft, es gibt auch viele Menschen über Fünfzig, die nicht mehr ohne Medikamente überleben können. Noch sind die meisten Frauen fähig, Kinder in Abwesenheit von Technologie zu gebären. Bald werden sie sie brauchen, um zu empfangen: Unfruchtbarkeit ist ein weltweites Problem, und neuste Studien haben einen jährlichen Rückgang der Spermienzahlen um 2% bestätigt30.

Die Hilfen und Tröstungen der Technologie sind zu Stützen des Überlebens auf einer biologischen Ebene geworden. Zugegeben, die meisten dieser Abhängigkeiten sind eine Illusion, eine Funktion der Ignoranz: im Falle der Medikamente ist es eine Ignoranz natürlicher Medizin und der Erhaltung des Körpers; im Falle des Geburtsvorgangs, ist es ein institutionelles Misstrauen gegenüber dem weiblichen Körper und eine gelernte Furcht, die Frauen dazu zwingt, die Hilfe von Experten zu suchen. Zwar ist die Abhängigkeit von der Technologie noch nicht vollkommen, aber wir verlieren langsam aber sicher unsere Fähigkeit zu laufen, zu schlafen, zu hocken, im Schneidersitz zu sitzen, zu rennen, Stuhl zu haben (warum sonst gibt es soviel Werbung für Abführmittel) und selbst zu atmen. Technologie erfüllt für uns die Funktionen, die diese Fähigkeiten einst erfüllten.

In den meisten Fällen wurde diese Abhängigkeit (noch) nicht in unsere Gene integriert und ist im Prinzip umkehrbar. Und dennoch haben wir in der Tat große Teile unserer physischen Gesundheit an die Forderungen der Geldwirtschaft verkauft oder zumindest verpfändet. Meine Gesundheit ist eine Anlage, eine Ressource, die ich zu Geld umwandeln kann, zum Beispiel, indem ich Überstunden im Büro mache oder indem ich unter riskanten Bedingungen arbeite. Erinnerst du dich an die ewige Geschäftsidee, jemandem etwas wegzunehmen, um es ihm dann zu verkaufen? Die technologische Gesellschaft hat uns durch ihre Anforderungen und durch lauter nützliche Dinge unsere Gesundheit genommen und verkauft sie uns nun für Geld zurück, durch Machenschaften wie Medizin, Nahrungsergänzungsmittel, Fitnesscenter und so weiter, welche uns allesamt erlauben, in der heutigen Welt zurecht zu kommen. Der Anschein der Gesundheit, den sie verleihen, genügt für gewöhnlich, um in der technologischen Gesellschaft zurecht zu kommen, in der wir selten länger kalte Temperaturen aushalten, einen Baum erklettern oder 20 km laufen müssen, aber es ist ein viel geringeres gesundheitliches Niveau, als eines, das ein Mensch genießt, der in der Natur lebt.

Wenn gegenwärtige Entwicklungen fortdauern, dann wird die Abhängigkeit von medizinischer Technologie wahrscheinlich immer akuter, bis wir eine Welt des Science-Fiction erreichen, in der medizinische Geräte und andere Technologien bei der Geburt oder sogar davor in den menschlichen Körper integriert werden. Es gibt schon Gerede von „Designerbabies“, deren Gene hinsichtlich bestimmter Eigenschaften künstlich ausgewählt oder verändert werden. Auch gibt es schon Implantate von Computerchips und zeitlichen Injektionssteuerungen. Und obwohl man heute davon spricht, eines Tages Übermenschen mit enorm verbesserten mentalen und physischen Fähigkeiten zu erschaffen, sind die meisten Anwendungen bis jetzt lediglich dafür da, ungesunden Menschen dabei zu helfen, zurecht zu kommen.

Wir erleben heute eine Epidemie mysteriöser neuer Krankheiten, zumeist das Immunsystem betreffend. „Die Wissenschaft macht Fortschritte in Richtung einer Heilung“, so wird uns erzählt, aber anders betrachtet, wird das vielleicht lebenslange medikamentöse Therapie, Gentherapie oder irgendeine andere Technologie in unsere Körper integrieren, die dann nicht mehr ohne diese Maßnahmen auskommen. Da die Krankheiten des 21. Jahrhunderts nach der Meinung der meisten alternativen Heilpraktiker durch Technologie erzeugt werden – Umweltgifte, sitzende Tätigkeiten und industriell hergestellte Nahrung, um nur wenige zu nennen – bedeutet unsere Verwendung der technologischen Medizin in der Tat den Rückkauf dessen, was uns die Technologie selbst überhaupt erst genommen hat. Mit anderen Worten haben wir unser physiologisches und genetisches Kapital in Finanzkapital umgewandelt. Wir haben unsere Gesundheit verkauft, um dann eine minderwertigere Version davon zurück zu kaufen.

Weiter oben schrieb ich: „Was tun die Menschen sonst noch für sich selbst?“ Was könnte noch in eine „Dienstleistung“ umgewandelt werden? Was ist mit Körperteilen und Körperfunktionen? Ich denke hier an die Nierenindustrie, die arme Menschen auf der ganzen Welt dazu bringt, ihre eigenen Nieren für Transplantationen in der Industriewelt zu verkaufen. Eine weitere Wachstumsbranche ist die Leihmutterschaft, welche zunehmend in die Dritte Welt verlagert wird31. Von der Empfängnis über die Schwangerschaft bis zur Geburt, von der Krippe über den Kindergarten bis zur Schule, von der Zwergenliga über das Sommerlager bis zur elektronischen Unterhaltung, der Prozess der Herstellung eines menschlichen Wesens wird im Extremfall eine Aneinanderreihung von Dienstleistungen. Das ist wirklich nicht allzu weit entfernt von den Albträumen eines Aldous Huxley.

Wenn wir uns des Ausmaßes unserer Armut bewusst werden, verlangt uns naturgemäß danach, etwas von unserem verlorenen Wohlstand zurück zu fordern. Allerdings ist die Forderung nach unserer verlorenen Gesundheit und Verbundenheit, unseren Geschichten und Vorstellungen, unseren Fähigkeiten und Beziehungen keine triviale Angelegenheit. Viele der alten beziehungsstiftenden Strukturen sind zerbrochen, und das hinterlässt uns einsam und hilflos. Wir wissen nicht, wo wir anfangen sollen. Darüber hinaus erzeugt die Monetarisierung des Lebens eine erbarmungslose Unsicherheit und Angst, die uns zum Gehorsam knüppelt. Wenn all unsere Überlebenstechniken verkauft sind, hinterlässt uns das in der Abhängigkeit vom Geld – eine vortreffliche Ironie, da doch die Leute ihr Leben dem Geld opfern, genau weil sie behaupten, damit „finanzielle Absicherung“ zu erreichen. Geld, einst nebensächlich für das Überleben, wie im Falle des Subsistenzbauern, wird nun gleichbedeutend mit dem Mittel zum Überleben. Eine natürliche Folgerung der Umwandlung der physischen, sozialen und kulturellen Welt zu Eigentum ist, dass wir für das Leben bezahlen müssen. Kann das, und nicht eine sündige Natur der Menschen, der Grund sein für die Angst und die Gier, die unsere Kultur durchzieht?

Abhängigkeit vom Geld gepaart mit der einhergehenden, endlosen Intensivierung des Wettbewerbs bedeutet, dass es nicht nur schwer ist, das Leben zurück zu fordern, sondern auch irrational. Die entfernten Spezialisten und Professionellen, die unsere Lebensfunktionen erfüllen, tun dies so viel effizienter, als wir es könnten. Selbst mit Grundzutaten zu kochen, zu gärtnern, unsere Autos zu reparieren, unsere eigene Musik und unsere eigene Kleidung zu machen, sind wirtschaftlich ineffiziente Aktivitäten, die uns im großen Wettbewerb des Lebens benachteiligen würden. In der Ökonomie bedeutet das Wort „rational“ die Maximierung der eigenen finanziellen Interessen – eine sehr bedeutsame Annahme. Wieviel ist deine Zeit wert? Wieviele Euros pro Stunde? Nur zu, rechne dir mal aus, wieviel Geld du verdienst, wenn du selbst den Ölwechsel durchführst. Es ist rationaler, den Spezialisten von der Supermarktbäckerei den Geburtstagskuchen für deinen Sohn backen zu lassen (er kostet dort nur 8 Euro, und du würdest dafür länger als eine Stunde in der Küche stehen). Es ist rationaler, den Spezialisten mit seiner Massenfertigung all dein Essen kochen zu lassen. Es ist rationaler, hingebungsvolle Spezialisten dein Haus reinigen und auf deine Kinder aufpassen zu lassen. Zeit ist immerhin Geld.

Die Leere solchen Denkens ist offensichtlich, denn es reduziert das Leben auf Geld – so wie der Ausspruch „Zeit ist Geld“ nahelegt. Und doch geschieht die Reduktion des Lebens auf Geld genau durch die Entscheidungen, die wir treffen oder gezwungen sind zu treffen. Es ist genau das, was geschieht, wenn Technologie unser Leben einfacher macht. Die Reduktion des Lebens auf Geld ist genau das, was durch die groß angelegte Umwandlung aller Formen von sozialem, spirituellem, kulturellem und natürlichem Kapital zu Finanzkapital geschieht.

Die Gleichung „Zeit ist Geld“ bringt uns zum Kern der Sache. Indem wir die ganze Welt und alles in ihr zu Eigentum umgewandelt haben, wenden wir dieselbe Gleichung auf die Zeit selbst an und ordnen eine jede unserer Interaktionen den Berechnungen wirtschaftlicher Rechtfertigungen unter. In dem Ausspruch steckt nicht weniger als die vollständige Monetarisierung des Menschenlebens. Es liegt etwas monströses in der bloßen Idee eines Lohns, der Verkauf von irgendjemandes Zeit ist der Verkauf seines Lebens. Du verkaufst eben genau Stunden deines Lebens. Eine solche Auffassung entfachte während der frühen Industrialisierung tatsächlich große Widerstände. Davor, so schreibt Kirkpatrick Sale, „war Zeit ein Medium und keine Ware“. Aber wie die routinierten, mechanischen Handlungen des Fließbandarbeiters und des industriellen Maschinenführers die Fähigkeiten des unabhängigen Handwerkers ersetzten, so wurden Fähigkeiten überhaupt immer überflüssiger, bis die Arbeiter nichts mehr anzubieten hatten, als ihre Zeit. Sie widerstanden heldenhaft dieser Monetarisierung des Lebens selbst, auch wenn die Alternative in die Verarmung führte, und die Frage, wie man in ihnen „Arbeitsdisziplin“ etablieren und durchsetzen konnte, wurde zu einem führenden Thema unter den Intellektuellen jener Zeit.

Unglücklicherweise ist die Reduktion des Lebens zu Geld, so offensichtlich deren Leere sein mag, auf einer tiefen Ebene hineingeschrieben in unsere wirtschaftlichen Annahmen und die Kriterien der öffentlichen Politik. Ihre hauptsächliche konzeptuelle Rechtfertigung hat ihre Wurzeln in der Philosophie Jeremy Benthams, der dachte, die Pflicht der Regierung sei es, die Summe des Glücks zu maximieren. Der Galileischen Tradition verhaftet, entschied er sich für den Weg, Güte zu quantifizieren, oder, wie er es nannte, den „Nutzen“. Damit wäre es eine einfache Sache, die Summe des Nutzens zu berechnen, der aus Politik A resultiert, sie mit der Summe von Politik B zu vergleichen und jene auszuwählen, die den meisten Nutzen für das Glück erzeugt.

Nun magst du denken, die Quantifizierung von Glück und Gut wäre eine dermaßen absurde Auffassung, dass sie keiner weiteren Erwähnung bedarf. Ich wünschte, das wäre wahr! In der Tat haben wir wirklich versucht, Benthams Vorschlag umzusetzen, allerdings in verhüllter Form. Statt des „Nutzens“ beziffern wir das Gut in Dollars und Euros.

Die Wirtschaftswissenschaft behauptet, dass wir rationale Akteure sind, die ihr Eigeninteresse – das persönliche Gut, beziffert in Euros – zu maximieren versuchen. Das Gut des Landes findet ebenfalls seinen Ausdruck in Euros, wann immer wir annehmen, dass Wirtschaftswachstum ein positives Gut ist. Wirtschaftswachstum ist definiert im Sinne des Bruttosozialprodukts – der gesamte Wert aller „Güter“ und Dienstleistungen, beziffert in Euros. Eine weitere bedeutsame Quantifizierung der Güte wird verkörpert durch Kosten-Nutzen-Analysen, in welchen angenommen wird, dass allen relevanten Kosten und Nutzen monetäre Werte zugeordnet werden können. Tut man dies, so ist es oft notwendig, dem Leben von Menschen ebenfalls einen Wert zuzuordnen. Ist es wert, Milliarden von Euros für Sicherheitsausrüstung auszugeben, die zehn Leben rettet? Wieviel ist ein Menschenleben wert? Wieviel ist dein Leben wert? Die monströsen Folgerungen aus dieser Art zu denken – eine buchstäbliche Reduktion von Leben zu Geld – liegen auf der Hand. Ethiker verknoten sich über dieses Thema, aber es ist keine befriedigende Lösung möglich, solange wir fortfahren, alles Gut zu quantifizieren.

Und doch gibt es Ökonomen, die zu glauben scheinen, dass diese Quantifizierung noch nicht weit genug gegangen ist. Ausgedrückt von Gary Becker, verkünden sie, dass ökonomische Berechnungen alle menschlichen Interaktionen beherrschen, vom Verbrechen über die Heirat bis zum Bildungsweg. Becker erhielt den Nobelpreis dafür, dass er „den Bereich der mikroökonomischen Analyse auf eine breite Palette menschlichen Verhaltens und Interaktionen einschließlich von Verhalten außerhalb des Marktes ausgeweitet hat32“. Ah, wenn nur die Monetarisierung des Lebens abgeschlossen werden könnte, dann wäre das Leben vollkommen rational und vollkommen effizient.

Die Verwendung des Wortes “Güter“, um verkäufliche Produkte menschlicher Aktivität zu bezeichnen, enthüllt einige tiefsitzende Annahmen. Zuerst, um wieder zur Agrikultur zurück zu kommen, deutet sie darauf, dass das Gut von der menschlichen Manipulation der Natur kommt und nicht von der Natur selbst. Ein Gut ist etwas produziertes, etwas von seinem ursprünglich Ort im Boden extrahiertes, das Wasser, oder der Wald, das dann irgend einer Form der Verarbeitung unterworfen wird. Unverbessert ist die Natur kein Gut. Mineralöl in der Erde oder ein Wald, der noch steht, ist für wirtschaftliche Berechnungen unsichtbar: sie sind noch keine „Güter“, so wie unbezahltes Bemuttern noch keine „Dienstleistung“ ist. Eine zweite Folgerung besagt, dass, wenn etwas ein Gut ist, dann kann man ihm einen Preis zuordnen – es wird zur Ware und kann gekauft und verkauft werden. Verstanden? Unsere Definition eine „Gutes“ ist, dass es für Geld getauscht werden kann. Geld = Gut. Dass einige gute Dinge bislang keine Güter sind, heißt nur, dass die Umwandlung von sozialem, kulturellem, spirituellem und natürlichem Kapital noch nicht abgeschlossen ist – gute Neuigkeiten für jeden Ökonomen. Aus Sicht des Ökonomen bedeutet die Gleichsetzung von Wirtschaftswachstum mit mehr und mehr „Gütern“ eine Art moralischen Imperativs, nach Wirtschaftswachstum zu streben. Mehr und mehr Güter, mehr und mehr Glück. Der Aufstieg der Menschheit. „Zu weinen oder eine Grenze zu erkennen, war Verrat. Glück und wachsende Produktion war eins33.”

30 Nach Jahren der Kontroverse wurde dies in einer großen Metaanalyse („Sperm Count Decline Confirmed“ von Magie Fox, Reuters, 24. November 1997) von Shanna Swan aus dem californischen Institut für Gesundheitsdienste bestätigt. Es gibt keine Übereinstimmung über die Gründe, aber ich denke die Hauptverdächtigen sind toxische östrogen-ähnliche Chemikalien wie PCB, exzessiver Sojaverzehr, Hormone in industriell hergestelltem Fleisch und zu enge Unterhosen. Der letzte war ein Witz.

31 Siehe zum Beispiel in „India’s New Outsourcing Business – Wombs“ von Sudha Ramachandran. The Asia Times, 16. Juni, 2006.

32 Dies sind die offiziellen Worte des Nobelpreiskommitees bei der Vergabe des Preises an Becker im Jahre 1992. Für mehr Details, siehe: http://nobelprize.org/economics/laureates/1992/press.html. Für einen Einblick in den Hyperrationalismus und die Abstraktion dieses Ansatzes, siehe Gary Becker und Judge Richard Posners blog: http://www.becker-posner-blog.com.

33 Lewis Mumford, Technics and Civilization, S. 104.

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1998-2011 Charles Eisenstein