Der Aufstieg der Menschheit von Charles Eisenstein
Über die große Krise unserer Zivilisation und die Geburt eines neuen Zeitalters
Die Umwandlung von Leben zu Geld bedeutet, dass es immer mehr vom letzteren und immer weniger vom ersteren gibt. In unseren wirtschaftlichen Berechnungen wird das allerdings eindeutig gesehen als ein Zuwachs an Wohlstand, was ein quantitatives Konzept ist, das in Dollars und Euros beziffert wird. Alles, was nicht mit Geld getauscht werden kann, ist unsichtbar und damit außerhalb der wirtschaftlichen Logik. Diese „Externalitäten“ sind das Gegenstück zu den von Galileo ausgeschlossenen subjektiven Qualitäten (nur das, was gemessen oder beziffert werden kann, zählt). Sie sind auch ein Gegenstück zum „Anderen“, das die Technologie aus der Welt macht. Darin liegt der grundlegende Unterschied zwischen der modernen Ökonomie und der natürlichen Ökologie.
In der Natur gibt es keinen Abfall (außer der Wärme, die ins All abgestrahlt wird); wie Paul Hawken es ausdrückt: „Abfall ist Nahrung.“ Natürliche Prozesse sind deshalb zyklisch. Was aus der Erde kommt, wird irgendwann in einer Form zur Erde zurückkehren, in der es für andere Lebewesen brauchbar ist. Es gibt keinen linearen Aufbau von Abfall, keinen linearen Abbau von essentiellen Ressourcen. Die Industrie, auf der anderen Seite, ist linear, da sie mit Ressourcen beginnt und mit Abfall endet – wirtschaftlich wertlose und sogar biologisch gefährliche Substanzen, die entsorgt werden müssen. Da „Ressourcen“ wie das in diesem Kapitel beschriebene soziale, kulturelle, natürliche und spirituelle Kapital außerhalb des Geldbereichs beginnen, macht uns ihre Umwandlung zu Ware und ihre Erschöpfung per Definition reicher und trägt zum Bruttosozialprodukt bei. Währenddessen wird ihre Erschöpfung, da diese Ressourcen nicht endlos recycelt werden, begleitet von einem entsprechenden Wachstum an materiellem, sozialem und spirituellem Abfall: Abraumhalden und Elendsviertel, Giftmüll und vergiftete Körper, sterbende Seen und zerstörte Kulturen, beschädigte Ökosysteme und zerbrochene Familien.
Der lineare Charakter der modernen Wirtschaftsweise ist offensichtlich nicht nachhaltig, denn sowohl die Ressourcen als auch das Vermögen der Erde, Abfall aufzunehmen, sind endlich. Die moderne Wirtschaft leugnet deshalb gerade heraus die Teilhabe der Menschen an der Natur und verkörpert den Glauben, dass die Gesetze der Natur nicht für uns gelten.
Die klassische Ökonomie verneint die Endlichkeit der Ressourcen, indem sie sagt, ihre Erschöpfung wird zu einem Preisanstieg führen und damit Innovation bei der Suche nach Alternativen stimulieren. Mit anderen Worten, wenn wir Öl soweit erschöpfen, dass ein Fass 500$ kostet, wäre dies ein riesiger Anreiz zur Entwicklung alternativer Energiequellen. Wenn wir die Humusschicht soweit erschöpfen, dass in Erde gewachsene Nahrung unerschwinglich wird, werden wir andere Wege finden, Nahrung anzubauen oder zu synthetisieren. Wenn wir die Ozonschicht zerstören, wird Innovation uns die Erfindung von Lifeskin®;, dem persönlichen Sicherheitsanzug ermöglichen und Ecodome®;, die Einfassung für die ökologische Insel. Die ungenannte Annahme lautet, dass unsere Fähigkeit, das Universum umzubauen und zu kontrollieren, unendlich ist – wenn der Preis einer sich erschöpfenden Ressource gegen unendlich geht, dann gilt gleiches auch für den Anreiz (und damit auch die Kapazität) zur Innovation. Du hast wahrscheinlich schon die vielsagende Signatur des Technologischen Fixes wieder erkannt, und das Technologische Programm, welches uns weiter und weiter von der Natur entfernt. Es ist auch festgeschrieben in den Annahmen der Ökonomie. Wenn die Fische in den Ozeanen erschöpft sind, macht nichts, wir werden Fischfarmen betreiben. Wenn der Boden unbrauchbar wird, tja, dann machen wir einfach neuen Boden. Wenn die Erde unbewohnbar wird, na, dann bauen wir einfach eine neue.
Die Zusicherungen der klassischen Ökonomie und der Ideologie der Kontrolle fangen allerdings langsam zu bröckeln an, weil nämlich die Welt, wie in Kapitel I beschrieben, außer Kontrolle gerät. Unsere Probleme pflanzen sich schneller fort, als wir sie bewältigen können. Das Leben geht nur weiter mit zunehmend hektischen Anstrengungen, um alles für den Moment zusammen zu halten, während riesige Probleme für später zurückgestellt werden. Wir tun dies kollektiv, in der Form vorübergehnder Lagerung von giftigen und strahlenden Abfällen (die Wissenschaft wird sicherlich eine dauerhafte Lösung finden, bevor der Abfall in vierzig Jahren zu lecken beginnt), als auch individuell, wenn wir große Widersprüche im Leben ignorieren und schwärende Wunden unter den Teppich kehren, so wie Chemieunternehmen vergrabenen Giftmüll unter den Teppich kehren mögen. Aber wie ein berühmter Ausspruch sagt: „Lebend begrabene Gefühle sterben nie.“ Das ist gleichermaßen wahr für unseren kollektiven als auch für unseren persönlichen Müll.
Wenn sie Bestimmtheit des Technologischen Programms und das Versprechen der ökonomischen Logik fehl gehen, dann ist die Erschöpfung natürlichen Kapitals lediglich ein Abzapfen von Kapitalreserven und nicht die Erzeugung neuen Wohlstands, und die Anhäufung von Abfall ist lediglich eine Rechnung, die bezahlt werden muss, und nicht die Verklappung in eine unendliche Außenwelt. Wie konnten wir denken, es wäre anders? Nur, wenn wir uns selbst als außerhalb der Natur begreifen, so dass es tatsächlich einen Platz gibt, wo man Dinge „heraus“ werfen kann. Wie konnten wir sonst unsere Zustimmung zur Produktion stabiler, sich im Gewebe anreichernder Gifte, wie PCB, Quecksilber und Dioxin geben? Eine Kultur, die weiß, dass die Natur heilig ist, würde das nicht wagen. Eine Kultur deren Verständnis von sich selbst Pflanzen, Tiere, den Wald und das Land einschließt, würde das nicht wagen. Dass wir es wagen ist einfach ein Produkt unserer eigenen Selbst-Fehleinschätzung. Nur wenn wir uns als grundlegend getrennt von der Natur begreifen, ist es vernünftig zu denken, dass das Gift uns nie etwas anhaben wird.
Die gleiche Logik der Externalisierung ist anwendbar auf die Ebene des Individuums oder des Unternehmens. Profite fallen bei denen an, die ihre Kosten am erfolgreichsten externalisieren. Die ist Schritt Zwei der ewigen Formel für den Geschäftserfolg. Schritt Eins war, den Leuten etwas weg zu nehmen (z.B. soziales Kapital) und es ihnen dann wieder zu verkaufen. Schritt Zwei ist, jemand anders zumindest einen Teil der Kosten tragen zu lassen, während du die Profite einheimst.
Müssen die Drucker von ungewollter Werbepost für deren Entsorgung auf Müllhalden bezahlen? Müssen die Hersteller oder Benutzer von Pestiziden für die Kosten zur Reinigung des Grundwassers aufkommen, das sie verschmutzen? Müssen die Hersteller oder Benutzer von Stickstoffkunstdünger für die Kosten der Eutrophierung von Gewässern (Algenblüten, die dem Wasser den Sauerstoff entziehen mit der Folge eines Fischsterbens) bezahlen? Wären die Berge von Plastikmüll, die wir jährlich zu Weihnachten kaufen, immer noch so billig, wenn sie die medizinischen Kosten der giftigen Beiprodukte enthielten? Wenn die Krebsraten in der Nähe von Müllverbrennungsanlagen, Raffinerien oder Papiermühlen um 500% ansteigen, muss der Betreiber dann die medizinischen Kosten tragen? Paul Hawken schreibt:
Benzin ist in den Vereinigten Staaten billig, weil dessen Preis die Kosten von Luftverschmutzung, saurem Regen und deren Gesundheits- und Umweltfolgen nicht enthält. Genauso sind amerikanische Nahrungsmittel die billigsten auf der Welt, aber der Preis schließt nicht die Tatsache ein, dass wir unsere Humusschicht von ehemals durchschnittlichen 60 cm Dicke auf nunmehr 15 cm erschöpft, dass wir unser Grundwasser kontaminiert (Bauern in Iowa trinken das Wasser aus ihren Brunnen nicht mehr) und dass wir die Tierwelt durch die Verwendung von Pestiziden vergiftet haben34. |
In einigen Fällen, wie etwa bei einer verschmutzenden Fabrik, sind es die Nachbarn, welche die Kosten tragen. Baut man die Schornsteine höher, so sind es vielleicht tausende Kilometer entfernte Fischer, welche die Kosten tragen. Aber nur einen Teil der Kosten, denn saurer Regen macht mehr, als nur Seen zu töten; er trägt auch zu massivem Waldsterben noch Jahrzehnte später bei. Die Kosten der Umweltzerstörung sind oft nicht auf eine Quelle zu beziehen, sind weit verteilt, unmöglich vorherzusagen und oft tragen die Kosten zukünftige Generationen.
Schon im Jahre 1920 erkannte der Ökonom A.C. Pigou, dass, wenn Märkte die allgemeine Wohlfahrt befördern sollen, Produzenten die vollen Kosten der Produktion tragen müssen; es müssen Wege gefunden werden, externale Kosten, wie die oben genannten, zu „internalisieren“. Seine Lösung war die regierungsseitige Verhängung von „Pigou-Steuern“ oder Subventionen, damit Produkte ihre wahren Kosten reflektieren. Vierzig Jahre später zeigte R.H. Coase, dass solche Regierungsintervention unnötig ist – wenn die Transaktionskosten Null sind (eine beliebte Annahme in den mathematischen Spielen der Ökonomen) und wenn die Eigentumsrechte „klar zugewiesen“ sind35. Auch wenn Coase oft zitiert wird, um eine wirtschaftsliberale, nicht interventionistische Politik zu rechtfertigen, die auf Eigentumsrechten fußt, legt seine Arbeit eigentlich nahe, dass eine solche nicht praktikabel ist wegen des Problems der Transaktionskosten. Wenn Kosten sehr weit verteilt, nicht auf eine Quelle rückführbar und schwer zu berechnen sind, dann ergeben sich bei der Zuordnung jener Kosten exzessive Transaktionskosten. Noch beunruhigender ist die zweite Voraussetzung, dass Eigentumsrechte „klar“ zugewiesen werden. Die Logik von Coase verlangt im Grunde, dass alle Dinge Gegenstand des Eigentums sind, und dass man ihnen einen monetären Wert zuordnen kann. Oder mit anderen Worten, dass alles seinen Preis hat. Und doch, als man Bewohner der Rocky Mountains dazu befragte, wie viel Geld man ihnen geben müsste, damit sie Luftverschmutzung in ihrer Gegend akzeptieren würden, antworteten sie, dass kein Geld der Welt den Verlust frischer Luft und klarer Sicht ausgleichen könnte36. Kein Geld der Welt. Gemäß der ökonomischen Theorie ist dies eine grundsätzlich irrationale Antwort. Aber ich wette, du würdest das gleiche antworten, wenn man dich fragte, wieviel du nehmen würdest im Austausch für deine Sehfähigkeit, dein rechtes Bein oder dein Kind. Tatsächlich neigen die Folgen einer geldwerten Bemessung solcher Dinge zur Monströsität (wie in der „Nierenindustrie“). Was können wir anderes erwarten, wenn das unendlich wertvolle auf eine endliche Summe reduziert wird? Eine fundamentale Annahme der Ökonomie ist damit als Unsinn entlarvt, schlimmer noch, als gegen das Leben gerichtet. Also komm, wieviel willst du für deine Gesundheit? Für deine Freundschaften? Für deine Selbstachtung? Für deine Stunden? Für dein Leben?
„Jeder Mann hat seinen Preis.“ Ist dieses Sprichwort wirklich wahr? Oder ist es nur ein Symptom dafür, wie gebrochen wir schon sind von der Versklavung durch das Geld?
Das Geschäftsmodell, auf Kosten anderer zu profitieren, passt recht gut zur traditionellen Biologie, in der Organismen um Ressourcen wetteifern und „Abfallstoffe“ in die „Umwelt“ abgeben. Die Geldwirtschaft sieht die Menschen gleichermaßen als getrennte Subjekte, die um Ressourcen wetteifern und die versuchen, ihr Eigeninteresse zu maximieren – eine exakte Parallele zur Darwinschen Sicht auf die Biologie. „Menschen sind im tiefsten Innern egoistisch“ – klingt das für dich wie etwas selbstverständlich Wahres? Eigentlich ist ein solches Verhalten eingebaut in die Struktur des Geldes. Je mehr menschliche Beziehungen durch Geldtransaktionen ersetzt werden, umso mehr wird das Leben folglich zu einem Gerangel zwischen wetteifernden „Anderen“. Thomas Carlyle beschreibt das unausweichliche Ergebnis in seinem Evangelium des Mammon: „Wir nennen es eine Gesellschaft und machen uns daran, uns offen zur totalen Trennung und Isolation zu bekennen. Unser Leben ist keine gegenseitige Hilfsbereitschaft, sondern vielmehr eine gegenseitige Feindseligkeit, die verkleidet ist unter dem Kriegsrecht, das wir „fairen Wettbewerb“ usw. nennen37.“
Die Ökonomie ist nur eine weitere Facette des Dualismus zwischen dem Selbst und dem Anderen, ein Zerrspiegel für unser gesamtes Verständnis vom Universum. Aber nun beginnen wir zu verstehen, dass die Natur nicht so funktioniert, und dass wir nicht getrennt sind von der Natur. Traditionellerweise haben wir Organismen so gesehen, dass sie Ressourcen verbrauchen und Abfallstoffe in die Umwelt abgeben, in der es, wie durch einen glücklichen Zufall andere Organismen gibt, die sich entwickelt haben, um diese Abfallstoffe im System zu verwerten. Was geht es das individuelle Steinverwitterungsbakterium an, dass seine Abfallstoffe irgendwann Calciumcarbonat für irgendeinen Meeresbewohner liefern? Es gibt hier keine Belohnung, die jenes Bakterium früh genug erreichen könnte, um einen Einfluss auf die natürliche Auslese zu haben. Ist es nur eine glückliche Fügung, dass bis jetzt kein Organismus außer dem Menschen, Abfallstoffe produziert hat, die unbrauchbar sind oder gar tötlich für den gesamten Rest des Lebens?
Der Trend zur Totalität des Geldes und dessen konzeptuelle Gleichsetzung mit Nutzen und Güte ist verantwortlich für den Irrsinn gegenwärtiger Wirtschaftlichkeitsrechnungen, bei denen Phänomene wie Krebs, leckender Giftmüll, Scheidungen, Gefängnishaft und so weiter positiv beitragen zum Bruttosozialprodukt – der Wertsumme aller „Güter“ und „Dienste“. Solange der Schaden an Menschen, Kulturen und Ökosystemen nicht in Geld beziffert wird, ist er im Bereich des Anderen und damit außerhalb der Bilanzbücher. Dasselbe gilt für die Geschäftsbuchhaltung, bei der Kosten nur externalisiert werden können, wenn derjenige, der zahlt, außerhalb der Bilanzen ist – ein Anderer. In dem Umfang, in dem wir uns mit unserer Gemeinschaft identifizieren, können wir Kosten nicht an sie auslagern. Sowohl sozialer Druck als auch unser eigenes Gewissen würden uns stoppen. In dem Umfang, in dem wir uns mit der Natur identifizieren, können wir ebenso wenig solche Dinge als Gewinn betrachten, welche der Ganzheitlichkeit und Schönheit der Erde in irgend einer Weise schaden.
Und doch, ein jeder, der jemals versucht hat, ein Geschäft mit reinem Gewissen aufzuziehen, weiß, dass es so scheint, als würden mächtige Kräfte sich verbünden, um einen skrupellosen Umgang im Geschäftsleben durchzusetzen. Gutmenschen werden aus dem Geschäft gedrängt von jenen, die ihre Kosten effizienter externalisieren. Die alltägliche Erfahrung bestätigt den Wettbewerb als Tatsache des Leben. Warum? Weil die Monetarisierung aller Formen von Kapital, die uns vormals erlaubten, ohne Geld zu überleben, das Geld fürs Überleben absolut notwendig gemacht hat. Und Geld hat wiederum ihm eigentümliche Charakteristiken, die alle Prozesse der Trennung, der Entfremdung, des Wettbewerbs und der fortlaufenden Umwandlung des Lebens zu Geld verstärken.
34 Paul Hawken, The Ecology of Commerce, S. 76
35 Coase, Ronald H. (1960). The Problem of Social Cost. J. Law & Econ. 3, S. 1.
36 find exact source! Jensen? How much money would you accept in exchange for living in an ugly world?
37 Thomas Carlyle, ”Gospel of Mammonism”, Past and Present, Buch 3, Kapitel 2.
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