Der Aufstieg der Menschheit von Charles Eisenstein

Über die große Krise unserer Zivilisation und die Geburt eines neuen Zeitalters

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Inhaltsverzeichnis:


Restaurative Ökonomie

Ein Geldsystem ändert sich nicht isoliert. Alles andere muss sich mit ihm ändern, sowohl als Folge wie auch als Vorbedingung. Meine Logik im vorigen Abschnitt lautet NICHT: „Wenn wir nur unser Geldsystem ändern könnten, dann würde sich alles andere auch ändern, und unsere Probleme wären gelöst.“ Nein. Es ist eher Teil einer großen Phasenverschiebung, einer Gestalt, einer holographischen Neuanordnung, bei der wir jeden Aspekt als Ausgangspunkt benutzen könnten – und in einer linearen Geschichte wie einem Buch sogar müssen. Zusammen kommen die Änderungen bei Geld, Besitz, Bildung, Medizin, Kunst und anderem, von denen ich in diesem Kapitel erzähle, alle von einer allgemeinen Neukonzeption von Selbst und Welt, und sie sind Teil derselben. Ich habe mit dem Geld begonnen, aber das macht dieses nicht vorrangig.

Wie in Kapitel IV erklärt geht viel von der Zerstörungskraft des gegenwärtigen ökonomischen Systems auf die Kostenabwälzung zurück, die der Natur wie der Zins eine Linearität überzustülpen versucht. Bei der Kostenabwälzung geht man davon aus, dass der Start- und Endpunkt linearen Konsums „da draußen“ liegt. Während Zins grenzenloses Wachstum verlangt, nimmt man bei der ökonomischen Kostenabwälzung an, dass es in unbegrenztem Umfang Ressourcen und Absorptionskapazitäten gibt. Zins und Abwälzung sind tatsächlich zwei Seiten der selben Münze, eine Verbindung, die weitgehend von jenen übersehen wird, die hoffen, die Selbstzerstörung unserer Gattung durch Kostenübernahme zu stoppen. Dennoch geben Vorschläge wie Umweltsteuern, Consumer Leasing und Emissionsberechtigungen eine gute Einsicht in die Funktionsweise einer Industriewirtschaft, die sich selbst nicht mehr als getrennt von der Natur versteht. Ich leihe mir von Paul Hawken den dazu passenden Ausdruck „Restaurative Ökonomie“, weil er unsere fortschreitende Distanzierung von der Gemeinschaft, uns selbst und der Natur nicht nur stoppt, sondern umkehrt. Eine Möglichkeit, das zu tun, ist Anreize für die Technologie zu bieten, die Prozesse der Natur nachzuahmen, zu unterstützen und zu ergänzen, anstatt zu versuchen, sie zu verneinen.

Autoren wie Hawken, Herman Daly, Bill Rees, Lester Brown, Thom Hartmann und Kenneth Boulding haben das scheinbar offensichtliche Argument vorgebracht, dass keine Wirtschaft nachhaltig sein kann, die Energie und andere Ressourcen schneller verbraucht, als sie erneuert werden können. Sie betrachten den Verbrauch fossiler Treibstoffe und anderer endlicher Ressourcen, etwa der Fähigkeit des Ökosystems, Abfälle zu absorbieren, als Kapitalminderung. Nachhaltigkeit (ein überstrapaziertes Wort, dessen englische Bezeichnung ’sustainability’ eigentlich Überlebensfähigkeit meint) ist nur möglich, wenn wir von unserem gegenwärtigen Einkünften leben, nicht von unseren Kapitalreserven. Diese Einkünfte umfassen „solare Einkünfte“ zuzüglich zur Kapazität der Erde, Abfallstoffe in die Bausteine neuen Lebens umzuwandeln. Wir könnten dem auch „kulturelle Einkünfte“ neuer Kunstformen, Ideen usw. hinzufügen, die heute umgehend vereinnahmt und in Waren verwandelt werden, so wie auch unser Erbe eine „Kapitalreserve“ darstellt.

Unser ökonomisches Paradigma trennt uns durch seine Linearität, seine Anforderung an endloses Wachstum und die Reduzierung der Umwelt auf „Ressourcen“ von der Natur. Es trennt uns auch von einander durch seinen Verbrauch sozialen und kulturellen Kapitals. Eine Wirtschaft, die diese Trennung rückgängig macht, wird eine bezeichnende Eigenschaft besitzen: So etwas wie Abfall gibt es hier nicht. Das ganze Konzept von Abfall, Müll usw. besteht darin, dass es ein „Draußen“ gibt, wo man Dinge hinwerfen kann. Dieses Konzept kann nur in der Denkweise der Trennung existieren.

Wenn es keinen Abfall geben soll, dann muss alles, was wir der Biosphäre entnehmen, in nicht-giftiger, nicht-angehäufter Form an sie zurückgegeben werden.21 Ein Umsetzungsvorschlag ist Braungarts und Englefields „intelligentes Produktsystem“, welches das ökologische Prinzip einzuführen versucht, dass Abfall Nahrung sei, durch (1) eine Leasingwirtschaft für Gebrauchsgüter; (2) völlig nicht-giftige, biologisch abbaubare Verbrauchsgüter; und (3) fortgesetzte Lagergebühren für jede andere Sorte Abfall – du kannst immer noch Dioxin produzieren, wenn du willst, aber du wirst für immer darauf sitzen bleiben.22 Ersteres bedeutet, dass Verbraucher große Geräte wie Gefrierschränke und Waschmaschinen mieten werden, statt sie zu kaufen. Im Endeffekt kaufen sie Dienstleistungen (Kühlung, Reinigung) statt der Maschinen selbst. Das nimmt den strukturellen Anreiz zu geplanter Veraltung, während es neue Anreize schafft, Produkte leicht reparier- und recycelbar herzustellen. Die selbe Logik kommt bei Industriegütern zur Anwendung und ist besonders im Zusammenhang mit einem Schwundgeldsystem effektiv, weil es die Bedeutung von Kapitalanhäufung mindert. Das zweite Prinzip ist leicht verständlich, unter dem Vorbehalt, dass viele Stoffe, die eigentlich biologisch abbaubar sein sollten, sich nicht zersetzen, weil sie unter Luftabschluss in Deponien lagern. Das dritte Prinzip ist nötig, um das erste in Gang zu halten, denn es schafft große finanzielle Anreize, nicht-giftige und wiederverwertbare Produkte herzustellen. (Der Effekt ewiger Lagergebühren ist im Zusammenhang mit einer schwundbasierten Währung sogar noch wirkungsvoller, weil künftige Kosten nicht abgewälzt werden können.) Lagergebühren für Giftmüll schaffen Anreiz, Prozesse zu entwickeln, wie man ihn entgiften könnte. Der Mykologe Paul Stamets hat einige erstaunliche Sanierungsmethoden entwickelt, um mit Pilzen viele Arten toxischer Stoffe zu entgiften;23 da jedoch die sozialen und ökologischen Kosten des Giftmülls fast alle abgewälzt werden, bieten seine Methoden zur Zeit nur begrenzt wirtschaftliche Motivation. In einer restaurativen Ökonomie könnte Stamets sehr wohl der reichste Mann der Erde sein!

Um Kreisläufigkeit in der Industriewirtschaft zu unterstützen, fordert Paul Hawken „Umweltsteuern“, die nach den Vorschlägen des Wirtschaftswissenschaftlers A.C. Pigou gestaltet werden. Am Beispiel der Steuern auf fossile Brennstoffe würden diese die Kosten für natürliche Ressourcen stark aufstocken, um damit dem Schaden Rechnung zu tragen, der durch Extraktion und Verbrauch entsteht. Eine Steuer auf Öl beispielsweise würde die Kosten für die Schädigung von Habitaten beim Bohren, die anteiligen Kosten für Leckagen, die Kosten für Luftverschmutzung durch Verbrennen usw. enthalten.

In der Praxis und im Prinzip ist dieser Ansatz mit Problemen behaftet. Das praktische Problem liegt in der Berechnung der weit gestreuten Langzeitkosten wie die vom Klimawandel verursachten Wirtschaftsschäden, wozu die Verbrennung von Öl zwar beiträgt, aber nicht allein. Das prinzipielle Problem liegt in der Zuweisung finanziellen Werts an etwas wie das Aussterben von Spezies, die Zerstörung schöner Aussicht und des Sterbens von Menschen. Gesells „monströse Wertdoktrin“ erhebt wieder ihr hässliches Haupt! Nochmal: Die den Umweltsteuern zugrundeliegenden Annahmen enthalten die Zuweisung eines Geldwerts an alle Dinge. Dennoch sind Umweltsteuern dazu gedacht, die Profitstrategie des Abwälzens von Kosten auszumerzen. Sie sind die finanzielle Verkörperung der Erkenntnis, dass alles, was wir anderen antun, uns selbst antun. Wir sind nicht von der Welt getrennt. Das heutige Wirtschaftssystem unterstützt den gegenteiligen Glauben, denn Schaden, der auf die Gesellschaft oder Umwelt abgewälzt wird, verursacht in der eigenen Bilanz normalerweise keine Kosten. Pigou-Steuern regen zu weiter gesteckter Selbstwahrnehmung an.

Der sofortige praktische Effekt wäre die Stärkung von Alternativen, die nur deshalb derzeit unwirtschaftlich sind, weil der Preis für „natürliche Ressourcen“ nicht die wahren Kosten spiegelt. Auf einmal würden großartige Umwelttechnologien – Fahrräder, Komposttoiletten, Bio-Landwirtschaft, Photovoltaik, qualmfreie Fabriken, Grasdächer, Leichtbau-Hybridautos, Schienentransport, Pilz-Sanierung, Segelschiffe, nicht-giftige Industrieprozesse und viele mehr – von enormen Wirtschaftsanreizen profitieren. Heute versuchen wir Hersteller durch Regulierung und Kontrolle zur Reduzierung der Verschmutzung zu zwingen. Umweltsteuern würden die Notwendigkeit für Regulierung beseitigen, indem sie Umweltbewusstsein mit Geschäftssinn verbinden.

Wenn die Menschheit die Schädlichkeit der gegenwärtigen industriellen Prozesse verinnerlicht, werden diese sich zwangsläufig dramatisch ändern. Berg- und Tagebau werden unerschwinglich teuer werden, und ebenso die Erzgewinnung, sobald das Hinterlassen von Gruben und Halden inakzeptabel wird. Unsere Hauptquelle für Rohmaterialien könnte der Abfall des 20. Jahrhunderts sein: Ein Pfund Blei oder mehr in jedem Fernsehgerät und Computerbildschirm, die enormen Mengen an Eisen und Stahl, die auf Müllplätzen verrosten, die Betonblöcke abgerissener Gebäude. Was wir an Gebrauchsgütern herstellen, wird so konstruiert sein, dass es leicht zu reparieren und erhalten ist, so dass es hunderte von Jahren halten könnte. Enormer Unternehmergeist wird sich in solche Anstrengungen ergießen, wenn Geschäftsziele mit der Wiederherstellung der Natur in Einklang gebracht werden. Im Gegensatz dazu setzt der regulatorische Ansatz die Umwelt in Widerspruch zum Geschäftserfolg.

Materielle Güter aus Plastik und Metall werden so wertvoll werden, dass es undenkbar sein wird, sie einfach wegzuwerfen. Nicht nur Behälter, sondern das gesamte Verteilungssystem für ihren Inhalt wird im Interesse der Wiederverwertbarkeit geplant werden – nicht weil die Regierung es so verlangt, sondern weil das eine vernünftige Geschäftspraxis sein wird. Weil Dienste wie Reinigung und Neubefüllung natürlich lokal geschehen, wird weniger Kapital an ferne Großhersteller exportiert werden, und das stärkt lokale Gemeinschaften und vergrößert den Nutzen lokaler Alternativwährungen.

Die gesamte Vorortlandschaft wird sich ändern, wenn Benzin, Zement und Asphalt nicht länger künstlich billig gehalten werden. Die gemeinschaftsbetonten Prinzipien zeitgenössischer Stadtplanung mit hoher Dichte werden keinen Windmühlenkampf gegen die Wirtschaftsinteressen der Entwickler mehr führen. Ohne subventionierte Treibstoffe, Pestizide und Grundwasserausbeutung wird lokale Produktion wettbewerbsfähiger werden, und der Hausgarten wird einen wirtschaftlichen Anreiz zuzüglich zum bereits vorhandenen ästhetischen und spirituellen Nutzen gewinnen. Die Nahrungsmittelherstellung wird lokaler werden, und mehr Menschen werden daran teilhaben.

Für die örtliche Fortbewegung wird das Fahrrad (das auch heute noch technischen Verbesserungen unterzogen wird) von allein das Transportmittel der Zukunft werden. Letztendlich denke ich, dass der Bau und die Instandhaltung von Radwegen den maximalen Übergriff auf die Natur darstellt, der sozial und ökologisch nachhaltig ist. Schau dir nur das Gemetzel an, das mit dem Bau einer Straße verbunden ist: das Umreißen von Bäumen und Umpflügen des Bodens. In der Zukunft werden wir nicht in der Lage sein, mehr als dezente Radwege zu unterhalten. Sicher sind die gegenwärtigen Zahlen überfahrener Tiere – vielleicht der deutlichste Hinweis, dass Abwälzung Tod bedeutet – im Bewusstsein jeder geistig gesunden Gesellschaft intolerabel. Ist es reiner Zufall, dass die normale Radgeschwindigkeit von etwa 30 km/h Spitze (und auch die natürliche Geschwindigkeit in einer verkehrsberuhigten Zone) gleichzeitig die Obergrenze für bewusstes Reisen ist? Mit Radgeschwindigkeit kann ich immer noch wahrnehmen, welche Pflanzenarten am Wegrand wachsen, ich kann schnell genug auf kreuzende Hasen reagieren, und ich bewege mich langsam genug, um kurz in das soziale Universum jener einzutauchen, an denen ich vorbeifahre. Da ist Zeit für ein „hallo“, ein Zeichen der Aufmerksamkeit, ein aufblitzendes Wiedererkennen. Alles, was schneller ist, enthält in gewissem Grade ein Vergessen der passierten Menschen und Orte – insbesondere, wenn man in einem geschlossenen Fahrzeug unterwegs ist. Automobile, egal wie niedrig ihr Schadstoffausstoß sein mag, trennen uns allein schon durch ihre Geschwindigkeit von der Natur; Wildunfälle und Habitatzerstückelung sind unvermeidliche Nebenerscheinungen davon. Autos (und noch dramatischer, Flugzeuge) erlauben uns, von Punkt A nach Punkt B zu gelangen, ohne die Räume dazwischen zu erfahren; sie erlauben uns Fortbewegung ohne wirkliches Reisen. Kein Wunder, dass wir die Räume zwischen den Mustern menschlicher Kultur vergessen und dass wir so blind gegenüber ihrer Zerstörung sind. Unerfahren, beiläufig durchquert, vorbeigerast und überflogen, als ob es sie überhaupt nicht gäbe. Das Externe.

Dummerweise ist die von Hawken und anderen anvisierte Ökologische Ökonomie unserem Geldsystem grundsätzlich entgegengerichtet. Erstere versucht externe Effekte auszumerzen; letzteres verlangt nach ihnen und erzeugt sie. Erstere verlangt den Kreislauf aller Stoffe; letzteres hat einen eingebauten Imperativ grenzenlosen stetigen Wachstums. Eine grüne Ökonomie kann es im Kontext von Zins, der endloses „Wachstum“ verlangt, nicht geben, außer vielleicht marginal. Dieses Wachstum ist eine Einbahnstraße und darum eine nicht nachhaltige Umwandlung der gesamten Welt in Geld. Das Schöne daran ist, dass die Nicht-Nachhaltigkeit unseres Produktionssystems und die Nicht-Nachhaltigkeit unseres Finanzsystems sich zuspitzen wird und damit eine Gelegenheit für die Veränderung beider gestattet.

Anstelle der heutigen linearen (oder exponentiellen) Wirtschaft wird eine zyklische Produktionsökologie entstehen, die sowohl konzeptionell als auch faktisch eine Ergänzung oder neue Dimension der Natur sein wird. Sie wird auf keinste Weise unnatürlich sein. Wie eine Pflanze oder eine ganze Gattung wird jedes Unternehmen und jede Branche nicht die maximal effiziente Ausbeutung von Ressourcen anstreben, sondern eine wichtige Funktion in einem Netz von Beziehungen gegenseitiger Unterstützung. Jeder Schritt des Umlaufs von Ressourcen wird eine lohnende Gelegenheit für Geschäfte sein. Paul Hawken hat die Wirtschaft der letzten paar Jahrhunderte mit einem Feld voller Unkräuter verglichen, die, sobald sie auf blanke Erde kommen, in einem hastigen Wettrennen um Sonnenlicht und andere Ressourcen tatsächlich maximales Wachstum anstreben:

„Beim Heraudämmern der Industriellen Revolution stand eine unermesslich große neue Welt anscheinend unbegrenzter natürlicher Ressourcen zur Eroberung bereit. Indem sie eine Ökonomie errichteten, die immer größere Lieferungen aller Ressourcen verlangte... haben die Menschen erfolgreich die Prozesse neu entstandener Ökosysteme nachgeahmt. Wir waren aggressiv und kämpferisch wie Pionierpflanzen. Wir betonten ungehemmtes Wachstum und sorgten uns nicht um Effizienz, Erhaltung oder Vielseitigkeit.“24

Aus offensichtlichen Gründen kann dies nur eine vorübergehende Phase bleiben. Schließlich entwickeln sich zunehmend komplexe, sich gegenseitig unterstützende Beziehungen zwischen den Spezies, wenn die ursprünglichen opportunistischen Kolonisatoren den Weg für ein vielseitigeres, ausgewachsenes Ökosystem freimachen. „In jungen Systemen wird die meiste Energie dazu verwendet, neues Wachstum zu schaffen, so dass nackte Erde schnell bedeckt wird. Auf dem Höhepunkt eines Systems ist der größere Teil der Energie der Erhaltung bestehender Pflanzen- und Tiergemeinschaften gewidmet.“25 Wr stehen am Scheitelpunkt genau eines solchen Übergangs. Sogar bereits mit einem Geldsystem, das stetiges Wachstum verlangt und sogar mit unserer konzeptuellen Entfernung von der Natur bilden sich aufkeimende Produktionsökologien im linearen Rahmen. Wenn wir Kreislauf-Parameter in das System einbauen, werden diese die Form einer ökologischen Ökonomie annehmen, dem Äquivalent einer facettenreichen Dschungelumwelt mit hunderttausenden von gegenseitig abhängigen Gattungen, ganz anders als ein Feld voll Disteln und Kletten, die einen Wettstreit um die Bedeckung nackten Bodens führen.

In solche einem System beschränkt sich jede Nische selbst. Erfolg liegt nicht in der Vereinnahmung von möglichst viel für dich selbst, sondern in der Erfüllung deiner Rolle bei der Erhaltung des Ganzen, eine Aufgabe, welche die einzigartigen Gaben jedes Teilnehmers fordert. Das definiert eine Person nicht nach dem, was sie besitzen und halten kann, sondern nach dem, was sie geben kann und beendet so den uralten Gegensatz zwischen Dienst und Eigennutz, Gier und Geben. Ja, es wird immer Wettbewerb geben, wie das auch im Dschungel ist; doch es wird nicht der zerstörerische Wettkampf sein, der das Gemeingut einzuzäunen und die Trottel zu melken versucht, sondern eher ein konstruktiver Wettbewerb zur Ausfüllung einer bestimmten Nische und um ein besserer Unterstützer des Gemeinwohls zu sein. Wir besitzen diese Ideale bereits, müssen für sie aber gegen das wirtschaftliche Eigeninteresse kämpfen. Wenn die Vorstellung vom Selbst, die der Wirtschaft zugrundeliegt, sich ändert, dann wird sich auch das wirtschaftliche Eigeninteresse auf das Gemeinwohl ausrichten.

Die Restaurative Ökonomie ist keine Sache des Verabschiedens eines neuen Gesetzes, einige Reformen durchzuführen oder die Fehler der konventionellen Wirtschaft zu durchschauen. Sie ist nichts anderes als eine Facette einer allumfassenden spirituellen Transformation unseres grundlegenden Verhältnisses zur Welt. Martin Prechtel erklärt, dass es in der Maya-Kultur nötig war, der Natur die Schulden zurückzuzahlen, die bei der Schaffung materieller Objekte entstanden, und auch tatsächlich durch das menschliche Leben.26 Je größer die Störung der Natur, desto mehr rituelle Bemühungen waren erforderlich, Schulden an die andere Welt zurückzuzahlen. Ein Eisenmesser erforderte daher angesichts der Kosten für seine Erschaffung (das Graben nach Erzen, das Verbrennen von Holz usw.) lange und ausgefeilte Rituale, so dass niemand ohne besonderen Grund ein Messer herstellte. So etwas wie eine Klimaanlage würde aus dieser Sicht so viel Kompensation durch Rituale erfordern, dass sie in verbotenem Maße „teuer“ wäre. Daher war eine Grenze für Konsumtechnologie in der Maya-Kultur vorhanden. Und was würde geschehen, wenn man Messer in Massenproduktion fertigte, so wie wir, ohne den rituellen Preis zu zahlen? Die Messer würden die Zahlung auf ihre eigene Weise eintreiben: entweder durch direkte körperliche Gewalt oder durch die Reduzierung von menschlichem Leben, Hoffnung, Lebenskraft, Schaffenskraft, Freude und Schönheit. Lässt sich nicht behaupten, das wäre bereits geschehen?

Anders ausgedrückt: Wenn wir linear produzieren und konsumieren, ohne Rücksicht auf „das Andere“ – den Planeten und alles Leben – werden wir unvermeidlich Schulden anhäufen, die zwangsläufig bezahlt werden müssen. Die fortgesetzte Anwendung technischer Reparaturen verschiebt lediglich den Tag der Abrechnung, so wie ein paar weitere Drinks zur Verlängerung des Wohlgefühls am Ende nur einen schlimmeren Kater verursachen. Der so bedeutende Mythos vom Aufstieg der Menschheit, das Technologische Programm, sagt, dass wir ihn für immer aufschieben können. Doch der Bankrott dieses Mythos wird zunehmend offensichtlich.

Ich befürworte nicht die Nachahmung von Maya-Ritualen, sondern dass wir die Idee in einen Kontext übersetzen, der heutzutage Sinn ergibt. Der zu zahlende rituelle Preis könnte so aussehen, dass wir allem, was wir herstellen, Vorsicht, Umsicht und Nachdenken widmen. Dass keine Schulden übrig bleiben, erfordert, dass diese Umsicht die Rohmaterialien, die Folgen für die Umwelt durch Produktion und Transport, die Folgen für das Leben der Menschen, die Folgen der Benutzung des Objekts und wie es schließlich zur Erde zurückkehrt einschließt. Wirtschaftlich müssen alle Kosten eingerechnet werden. Wenn wir irgendeine dieser Überlegungen zurückweisen und Kostenabwälzung zulassen, dann werden uns mit Sicherheit die Konsequenzen zu schaffen machen – eine Schuld wird der Zukunft eingeschrieben – denn es gibt kein „da draußen“, auf das man sie abwälzen könnte.

Kannst du dir dann die enormen Schulden vorstellen, die unsere Gesellschaft in den letzten Jahrtausenden angehäuft hat? Obwohl es vielleicht aussieht, als ob wir mehr oder weniger ungeschoren davongekommen wären und die Schulden an zukünftige Generationen weitergeben konnten (was schlimm genug ist), ist die Wahrheit viel schlimmer. Auch wir selbst bezahlen einen Preis. Der Preis betrifft unser eigenes Fleisch und noch übler, unsere eigene Seele. Die gerechte Belohnung für unsere ignorante, arrogante, verblendete Plünderung des Planeten und der Kultur ist der Ozean des Leids, der unsere Spezies umspült: die Kriege und Greueltaten, Vergewaltigung und Völkermord, verrohte Kinder, die Slums der Dritten Welt, das hoffnungslose Leben, Krankheiten und Hunger, und in den reichen Ländern Depression und Verzweiflung, Furcht und Langeweile, Zügellosigkeit und Einsamkeit, die tragische Reduzierung menschlichen Potentials, welche die Gewinner in der Tretmühle zu den bedauernswertesten Hamstern im Rad macht.

Eine interessante Parallele zu Prechtels Ansicht, dass die Geistwelt (die der Natur zugrunde liegt) sich ihren Preis in Form menschlicher Gewalt und menschlichen Leids nimmt, findet sich in der Kosmologie G.I. Gurdjieffs, der es „Nahrung für den Mond“ nennt. Gurdjieffs Verordnung für menschliche Entwicklung – in vollem Bewusstsein der „Selbst-Erinnerung“ zu handeln – passt auch zu Prechtels Rezept einer ritualistischen Herangehensweise an das Leben. Echte Rituale sind keine Schrittfolgen, die rein mechanisch ausgeführt werden, sondern ein Mittel um Bewusstheit einzubringen und das Bewusstsein über das beschränkte Selbst hinaus zu erweitern, das sein Extrem in der westlichen Kultur mit Descartes’ „Ich bin“, Adam Smiths homo oeconomicus sowie den Phaenotypen der Biologie erreicht hat. Indigene Kulturen sind niemals auch nur in die Nähe dieser Extreme geraten, haben aber die Tendenz erkannt und aktive Schritte unternommen, dem entgegenzuwirken. Denk an die Yurok-Geschichte der Wo’gey aus Kapitel II, die „wussten, wie man mit der Erde in Einklang lebt“. Bevor sie von dannen gingen, „weil sie wussten, dass Menschen nicht immer den Gesetzen der Welt folgten, lehrten sie diese, wie man Zeremonien abhält, welche das Gleichgewicht der Erde wiederherstellen konnten.“ Zeremonien oder Rituale erlauben uns, die Kosten unserer Handlungen psychologisch zu verinnerlichen, was in der Tat eine sofortige Rückzahlung von Schulden darstellt, statt dies aufzuschieben, was schließlich zu Lasten unserer Seelen und des Lebens unserer Kinder geht. Hier gibt es wiederum eine Parallele zu Gurdjieff, der zur Wiederherstellung der Bewusstheit zuvorderst „absichtliches Leiden“ verordnete, womit er die standhafte Absicht meinte, die fälligen Konsequenzen nicht zu vermeiden oder ihnen entkommen zu wollen. Auf psychologischer Ebene ist das sehr eng mit der wirtschaftlichen Kostenübernahme verwandt. Beide erkennen an, dass das Technologische Programm schließlich versagen muss, dass technische Reparaturen nicht für immer funktionieren, dass das Leben sich unbeschränkter Kontrolle entziehen wird und dass man die Schulden, in die man sich durch die Zerstörung begibt, die von unserer Trennung von der Welt herrührt, unausweichlich zurückzahlen muss. Jede technische Reparatur, durch die wir noch weiteren Schaden an der Umwelt erzeugen, um uns von den Folgen früherer Umweltschäden zu schützen, trägt zu einem großen Pyramidenspiel bei, einer Schuldenpyramide, einer Blase, die kein bisschen nachhaltiger ist als unsere ständig wachsende Wirtschaft. Je länger wir diese Schulden anhäufen, desto größer wird schließlich der Zusammenbruch und desto umfassender unser finaler Bankrott.

Die von mir beschriebene Restaurative Ökonomie erwächst aus der Anerkennung dieser Schuld. Sie wird durch die Liebe zur uns umgebenden Welt – die Liebe zum Leben und die Liebe unseres eigenen Lebens – und durch ein aufrichtiges Verlangen sich zu bessern motiviert. Ich habe über die Mechanismen, mit Hilfe derer ein solcher Wandel vonstatten gehen soll, wenig gesagt, aber ich glaube, dass die nötigen Änderungen so tiefgreifend sind, dass nichts weniger als ein kompletter Zusammenbruch des gegenwärtigen Regimes, ein kollektiver Aufprall am Boden genügen wird. Wenn die Illusion unserer Getrenntheit völlig untragbar geworden ist, dann werden sich neue Geld- und Wirtschaftsstrukturen herauskristallisieren, welche die Wiederherstellung unserer Ganzheit unterstützen und verkörpern werden.

Wie weit wir fallen müssen, um ganz unten aufzuschlagen, liegt an uns.

21 Nicht-giftig“ ist keine absolute Kategorie. Die Menge der produzierten Substanzen muss klein genug sein, damit die Biosphäre sie verwenden kann, da viele Stoffe, die in kleinen Mengen nützlich sind, in größeren zerstörerisch wirken. Es geht nicht um die chemische Zusammensetzung einer Substanz, sondern ob sie zu einem Kreislauf beiträgt. Das bedeutet, dass keine Handlung isoliert von Raum und Zeit verstanden werden kann. Der selbe Stoff kann am einen Ort ein Gift sein und anderswo ein Nährstoff.

22 Meine Darstellung des „intelligenten Produktsystems“, der Umweltsteuern und der Emissionsberechtigungen bezieht ihre Grundinformationen aus Paul Hawkens The Ecology of Commerce sowie aus Natural Capital von Hawken und Lovins.

23 Ich übertreibe nicht, wenn ich „erstaunlich“ sage. Dein Herz wird vermutlich einen Sprung machen, wenn du Mushroom Power von Paul Stamets in der Frühjahrsausgabe 2003 von Yes! liest.

24 Paul Hawken: The Ecology of Commerce, Harper, 1993. S. 21

25 Hawken, S.20.

26 Interview mit Derrick Jensen, The Sun, April 2001

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1998-2011 Charles Eisenstein